Jeder zehnte Brite hat sich schon selbst Zähne gerissen

Jeder zehnte Brite hat sich schon selbst Zähne gerissen
Keine Termine, zu wenig Ärzte: Die Zahnmedizin in Großbritannien ist „existenziell bedroht“

„Mummy, mein Zahn schmerzt“, sagte der elfjährige Sohn Eddie zu seiner Mama, Journalistin Georgina Fuller eines Morgens. „Keine Sorge“, erwiderte sie, „ich kümmere mich darum.“ Ihr gelang es, einen Termin beim lokalen Zahnarzt zu erwischen.

Doch dort hieß es, ihr Sohn brauche eine Füllung. Das müsse ein Spezialist machen. Dieses Gespräch, schrieb die Journalistin diese Woche in der Zeitung i, sei mehr als ein Jahr her. Auf den Termin wartet sie weiter.

Geschichten wie Eddies sind in Großbritannien keine Ausnahme. Wie der Guardian diese Woche berichtete, standen im Jänner rund 27.000 Kinder auf Wartelisten für zahnärztliche Spezialbehandlungen, Untersuchungen oder Eingriffe. In manchen Regionen müssen Kindern im Schnitt 18 Monate auf Termine warten, in anderen Jahre.

Kronen aus Zement

Doch nicht nur bei den Kindern sind die Zahlen dramatisch. Jeder zehnte Brite hat sich laut einer YouGov-Umfrage aus dem Frühling bereits selbst Zähne gezogen. Einige verwendeten dazu eine Zange; andere versuchten, Kronen mit Zement oder Superkleber zu richten; eine Person wollte gar mit Urin eine Infektion abtöten und „erhitzte Polykugeln“ wurden als Ersatz für einen fehlenden Zahn verwendet.In den vergangenen zwei Jahren haben über sechs Millionen Menschen erfolglos versucht, einen Termin beim Zahnarzt zu bekommen. 4,4 Millionen machten sich gar nicht erst die Mühe, weil sie davon ausgingen, keine Chance auf eine

Konsultation zu haben.

Geschätzte 1,1 Millionen Patienten wurden durch die Gebühren abgeschreckt, und weitere 600.000 standen auf einer Warteliste, listete der Mirror auf. Die Daten wurden von der British Dental Association (BDA) analysiert, die diese Woche einen offenen Brief an Gesundheitsminister Steve Barclay sandte: „Die NHS-Zahnmedizin ist existenziell bedroht“, schreibt darin Shawn Charlwood, Vorsitzende der BDA.

Schmerzen und Leiden, weil man keinen allgemeinen Zahnarzt aufsuchen könne, seien für das 21. Jahrhundert „völlig inakzeptabel“, war auch die Schlussfolgerung des Berichts des britischen Komitees für „Health and Social Care“.

Die Regierung gab dabei bekannt, dass sie jährlich mehr als 3,5 Milliarden Euro in die Zahnmedizin investiere. Das sei nicht genug, es müsse mehr getan werden, so das Komitee – und zwar schnell. „Besonders frustrierend ist,

dass die Empfehlungen, die unser Vorgängerausschuss vor 15 Jahren gemacht hat, immer noch nicht umgesetzt worden sind“, sagte der Komitee-Vorsitzende Steve Brine.

Fuller versucht weiter einen Termin zu bekommen. Manchmal werden die Schmerzen so schlimm, dass sie ihrem Sohn ein Schmerzmittel geben muss.

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