Steinzeitgeheimnis: Warum stiegen fünf Forscher ins Einbaum-Kanu?

A dugout canoe with four men and one woman paddling is pictured during a crossing across a region of the East China Sea
Fünf Forscher paddelten mit einem selbstgebauten Kanu über das Meer, um ein altes Steinzeitgeheimnis zu lüften.

von Annika Meyborg

Wann und wohin die ersten Menschen nach Ostasien wanderten, um sich dort niederzulassen, ist weitgehend bekannt. Wie sich diese Populationen aber zwischen den Inselgruppen auf gefährlichen Meeresstrecken bewegten - das wusste lange niemand so ganz genau.

Forscher aus Taiwan und Japan testeten in zwei neuen Arbeiten Methoden, die alte Völker benötigten, um solche Reisen durchzuführen. Die Leitung hatte Professor Yōsuke Kaifu von der Universität Tokio. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie diese Woche im Fachblatt  Science Advances. 

Steinzeit‑Kanu trotzt heftiger Meeresströmung 

Ein internationales Forscherteam baute mit Werkzeugen aus der Altsteinzeit ein rund siebeneinhalb Meter langes Einbaum‑Kanu. Die Forscher verwendeten ausschließlich Steinäxte, wie sie vor etwa 30.000 Jahren benutzt wurden – und bezwangen damit erfolgreich eine der stärksten Meeresströmungen der Welt.

Im Mittelpunkt der Mission stand der sogenannte "Kuroshio", eine schnelle Oberflächenströmung im westlichen Pazifik, die von den Philippinen nordostwärts an Taiwan und Japan entlangfließt. Der Kuroshio galt bisher als großes Hindernis für prähistorische Seefahrer, doch die Versuche im Fachjournal Science Advances zeigen nun: Altsteinzeit‑Menschen konnten mit solch einfachen Booten weite Strecken (rund 100 Kilometer) über offenes Meer bewältigen.

A dugout canoe is pictured before departure on a crossing across a region of the East China Sea to Yonaguni Island

Der Einbaum liegt vor der Reise an einem ostasiatischen Strand bei Wushibi.

Von Floß zum Einbaum

Anfangs nahmen die Forscher an, dass ein Floß das geeignetste Fahrzeug sei. Ein Einbaum-Kanu sei anfangs der letzte Kandidat unter den möglichen paläolithischen Seefahrzeugen für diese Region gewesen, erklärte Professor Yōsuke Kaifu von der Universität Tokio

Doch Simulationen und physische Tests belegten das Gegenteil: Flöße seien zu langsam und instabil für diese Route. Sowohl Bambus- als auch Schilfflöße erwiesen sich als untauglich, heißt es im anthropologischen Forschungsartikel. Als Alternative diente schließlich ein Einbaum, also ein aus einem einzigen Stamm gespaltenes Boot, gefertigt aus einer etwa einen Meter dicken Sicheltanne ("Cryptomeria japonica"). Für das Fällen allein benötigte das Team sechs Tage.

Researcher Kunihiro Amemiya uses a period-accurate axe to chop down a cedar tree in Noto Peninsula, Japan, to make a dugout canoe for a crossing across a region of the East China Sea from Taiwan to Yonaguni Island

Forscher Kunihiro Amemiya fällte mit einer steinzeitlichen Axt den Baum, aus dem das Kanu gebaut wurde.

Die Pionierfahrt

Im Juli 2019 wagte ein Team von fünf erfahrenen Paddlern (vier Männer, eine Frau) die Überfahrt mit dem 241 Kilogramm schweren Kanu, getauft auf den Namen „Sugime“. Nur mit einblättrigen Paddeln und ohne moderne Hilfsmittel wie Kompass oder GPS dokumentierten sie ihre Reise. Verlassen konnten sie sich nur auf natürliche Hilfen wie die Sonne und Sterne. Navigationsfehler durch Erschöpfung, Wasser im Boot, extreme Hitze und Muskelkater wurden zu ständigen Begleitern. 

Trotz dieser Herausforderungen legten sie in etwa 45 Stunden und knapp 225 km die Strecke von "Wushibi" (Stadt im Osten Taiwans) bis zur Insel "Yonaguni" zurück – und zeigten so, dass Altsteinzeit‑Menschen ohne moderne Ausrüstung weitreichende Meerfahrten unternehmen konnten.

Auch wenn die Reise schon 2019 stattfand, sind längst noch nicht alle Daten ausgewertet. Weiters würden die Erkenntnisse genutzt, um weitere Theorien und Modelle zu überprüfen, so die Universität Tokio. 

Nur eine Richtung möglich

Die Mission zeigte aber auch, dass eine Rückkehr damals wohl kaum möglich gewesen wäre. Dafür hätten präzise Kartenkenntnisse und ein Verständnis für die Strömungsmuster des Kuroshio notwendig sein müssen, was vermutlich erst deutlich später verfügbar war.

Alleine für die Hinfahrt wäre neben einem robusten Boot, erfahrenen Paddlern und immenser Ausdauer auch eine große Portion Glück mit dafür verantwortlich gewesen, dass das Reiseziel erreicht wurde, heißt es im Forschungspapier. 

Kommentare