Terroristen könnten Nuklearmaterial haben
Aufständische im Irak sind nach Regierungsangaben an Nuklearmaterial gelangt. Die radioaktiven Stoffe stammten aus der Forschung einer Universität im Norden des Landes, teilte der Irak in einem Brief den Vereinten Nationen mit und rief die Staatengemeinschaft zur Hilfe auf, "um die Bedrohung abzuwenden, dass es von Terroristen im Irak oder anderswo verwendet wird".
Fast 40 Kilogramm von Urangemischen seien in der Uni Mossul gelagert worden, schrieb der Botschafter des Irak bei den Vereinten Nationen, Mohamed Ali Alhakim, an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in einem auf den 8. Juli datierten Brief, der der Nachrichtenagentur Reuters vorlag.
"Terroristengruppen sind an Nuklearmaterial gelangt an Orten, die nicht mehr von der Regierung kontrolliert werden", schrieb der Botschafter weiter. Dieses Material "kann zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen verwendet werden", warnte er. Es könne auch aus dem Irak heraus geschmuggelt werden. Aus US-Regierungskreisen hieß es dagegen, die Stoffe enthielten wohl kein angereichertes Uran und könnten daher kaum zum Bau von Waffen dienen.
UNO: Kaum große Gefahr
Das Nuklearmaterial stellt den Vereinten Nationen zufolge aber vermutlich keine große Gefahr da. Auf Grundlage der ersten Berichte gehe man davon aus, dass das Material nur schwach angereichert sei und kein Risiko im Sinne der Sicherheit oder atomaren Weiterverbreitung darstelle, erklärte eine Sprecherin der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) am Donnerstag. Trotzdem sei ein derartiger Fall immer besorgniserregend, sagte sie weiter.
Der Irak hatte erst vor wenigen Tagen eingeräumt, er habe die Kontrolle über ein Chemiewaffenlager an die sunnitischen Rebellen der Organisation Islamischer Staat (IS) verloren. Die Rebellen haben bei ihrem Vormarsch weite Teile des Nordiraks eingenommen, wurden zwischenzeitlich aber wieder aus einigen Gebieten vertrieben.
Irak streicht Frachtflüge
Die Gräben zwischen den irakischen Kurden und der von Schiiten dominierten Regierung in Bagdad haben sich am Donnerstag weiter vertieft. Die kurdischen Minister in der Übergangsregierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki kündigten an, den wöchentlichen Kabinettstreffen fernzubleiben. Bagdad strich alle Frachtflüge nach Erbil und der zweitgrößten kurdischen Stadt Sulaimaniya bis auf Weiteres.
Dies sei eine Reaktion auf die Behauptung des Regierungschefs vom Vortag, die kurdische Stadt Erbil sei zu einer Hochburg der radikal-sunnitischen, extremistischen Gruppe IS geworden (siehe unten). Ein kurdischer Vertreter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, man sei jedoch ausdrücklich nicht aus der Regierung ausgetreten.
Wenige Stunden später erfuhr Reuters vom Chef der irakischen Flugaufsichtsbehörde, Nasser Bander, bis auf Weiteres seien alle Frachtflüge nach Erbil und der zweitgrößten kurdischen Stadt Sulaimaniya gestrichen. Der Passagierverkehr sei nicht betroffen.
Autonomie für Kurden
Die Beziehung war bereits vor al-Malikis Behauptung angespannt. Der Chef der kurdischen Autonomie-Regierung, Massoud Barzani, rief das Parlament in der vergangenen Woche auf, eine Volksbefragung zur Unabhängigkeit vorzubereiten.
Die gut organisierte Miliz der Volksgruppe hat die Kontrolle in Orten im Nordirak übernommen, die von den Sicherheitskräften der Zentralregierung während der Kämpfe gegen die Islamisten verlassen wurden. Dazu gehört insbesondere die Öl-Stadt Kirkuk.
Türkei verlangt Freilassung von Geiseln
Einen Monat nach der Erstürmung des türkischen Konsulats in Mossul hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan IS zur Freilassung der 49 Geiseln aufgerufen. Erdogan appellierte dabei an den Glauben der IS-Extremisten vor dem Hintergrund des für Muslime heiligen Fastenmonat Ramadans.
"Wenn sie wirklich gläubig sein sollten, müssen sie unsere Brüder in deren Land zurückschicken", sagte er am Mittwochabend in der zentralanatolischen Provinz Tokat nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu. "Das erwarten wir."
IS-Extremisten hatten das Konsulat in der nordirakischen Stadt am 11. Juni gestürmt und nach Angaben der Regierung in Ankara 49 Türken entführt, darunter den Generalkonsul. Kurz zuvor hatte die Terrormiliz 32 türkische Lastwagenfahrer in der Gegend verschleppt. Sie waren in der vergangenen Woche freigelassen worden und kehrten in die Türkei zurück. Der Ramadan dauert in der Türkei bis zum 27. Juli.
Die Vertreter der christlichen Minderheit im Irak haben die EU dringend um Hilfe gebeten. Der chaldäische Patriarch Louis Sako, die höchste christliche Autorität im Irak, und weitere Christen-Vertreter trafen am Mittwoch in Brüssel den EU-Ratspräsidenten Herman van Rompuy sowie weitere EU-Politiker.
Europäer haben moralische Pflicht
Er sei "extrem beunruhigt" über das Schicksal der Christen, die aus den von radikalsunnitischen Rebellen besetzten Gebieten fliehen, sagte Sako vor Journalisten. Er appellierte: "Die Europäer haben eine moralische Pflicht gegenüber dem Irak."
Der Erzbischof von Mossul, Johanna Petros Mutsche, sagte, alle Christen hätten die einst multireligiöse Stadt im Norden des Irak verlassen. Die chaldäische und die syrisch-orthodoxe Kirche der Stadt seien beide von Kämpfern der Gruppe Islamischer Staat (IS) besetzt. Für das von ihnen kontrollierte Gebiet rief IS einen islamischen Gottesstaat aus.
"Wir sind eine sehr verletzliche Minderheit, weil wir weder Armee noch Milizen haben", sagte Sako. Die Zahl der Christen im Irak ist nach einem Jahrzehnt des Krieges und interreligiöser Konflikte eingebrochen. Von den vor dem US-Einmarsch im Jahr 2003 im Irak lebenden mehr als eine Millionen Christen sind weniger als 400.000 noch im Land. Die meisten sind unter dem Verfolgungsdruck muslimischer Extremisten ins Ausland geflohen.
Al-Maliki sieht Kooperation Kurden und IS
Unterdessen hat der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki davor gewarnt, dass die kurdische Stadt Erbil im Norden zu einer Hochburg der Terrormiliz "IS" werden könnte. "Wir werden es niemals hinnehmen, dass Erbil eine Operationsbasis für den Islamischen Staat, für Anhänger der Baath-Partei, Al-Kaida und Terroristen wird", sagte Maliki am Mittwoch in seiner wöchentlichen Fernsehansprache.
Al-Maliki: "Schicksalshaften Kampf"
Man könne nicht verschweigen, dass die kurdischen Autonomiegebiete im Norden des Iraks zu einem Zentrum für Aktionen der Extremisten und ihrer Verbündeten geworden seien, sagte Maliki. Zugleich hielt er den Kurden vor, die Einheit des Landes zerstören zu wollen. Einige im Land sprächen täglich "ohne Scham" von der Teilung des Landes, sagte er mit Blick auf kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen. Die Regierung in Bagdad werde einen "schicksalshaften Kampf" führen, um die Einheit des Landes zu wahren.
Die Beziehungen zwischen dem Schiiten Maliki und dem Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan, Massud Barsani, haben sich erheblich verschlechtert. Barsani hatte vergangene Woche das kurdische Parlament aufgefordert, eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der ölreichen Region vom Irak vorzubereiten.
Sunniten fühlen sich unterdrückt
Im Irak wachsen die Spannungen zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden. So wehrt sich Maliki gegen Forderungen auch aus dem Westen, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und Sunniten und Kurden einzubeziehen. Viele Sunniten, die unter Saddam, das Sagen hatten, fühlen sich von der schiitisch geführten Regierung Malikis unterdrückt.
Massengrab im "Dreieck des Todes"
Am Mittwoch haben Irakische Polizisten südlich von Bagdad die Leichen von 53 gefesselten Menschen entdeckt. Die Opfer in Zivilkleidung seien in der Nähe der Stadt Hilla erschossen worden, hieß es aus irakischen Sicherheitskreisen. Die Identität der Toten sei unbekannt. Wer für die Tat verantwortlich ist, war zunächst unklar. Hilla, auch "Dreieck des Todes" (Provinz Babil) genannt, liegt rund liegt rund 100 Kilometer südlich der Hauptstadt.
Die Opfer seien offenbar gezielt ermordet worden. Sie alle hätten Schusswunden in Kopf oder Brust aufgewiesen, hieß es von der Polizei am Mittwoch. Ein Mitarbeiter einer Leichenhalle sagte, die Männer seien alle vor mindestens einer Woche getötet worden.
Seit Beginn des Vormarsches der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS), vormals unter dem Namen "Islamischer Staat im Irak und in der Levante" (ISIS/ISIL) bekannt, Anfang Juni leidet der Irak unter massiver Gewalt, der immer wieder auch Zivilisten zum Opfer fallen. IS-Milizen sind nach Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch für mehrere Massenexekutionen verantwortlich. So sollen sie in der Stadt Tikrit mindestens 160 Menschen erschossen haben. Aus mehreren Orten gab es Berichte über Hinrichtungen.
Keine Kämpfe in der Nähe des Grabes
Die Provinz Babil, deren Hauptstadt Hilla ist, ist von den Kämpfen zwischen den Jihadisten und den Regierungstruppen bisher aber weitgehend verschont geblieben. Insbesondere in der Gegend, wo das Massengrab entdeckt wurde, gab es bisher keine Kämpfe.
Allerdings war die Region in den Jahren 2006 und 2007 eine der Brennpunkte des blutigen Bürgerkriegs zwischen Schiiten und Sunniten, bei dem viele ähnliche Massaker verübt wurden. Die Region ist zwischen den Volksgruppen tief gespalten.
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