„Hoch lebe König Charles“ : Wenn der Bote den König ausruft
Die Briten und ihr historisches Zeremoniell. Der König wird wie einst im Mittelalter verlautbart - wie der KURIER in Oxford erlebte
11.09.22, 17:07
Kurz nach 13 Uhr geht ein Schrei durch die Menge vor dem Carfax Tower in Oxford, gefolgt von Fanfarenklang. Tausende Zaungäste reißen ihre Köpfe herum, recken die Handys hoch. Der Herold ist da. Mit rotem Wedel auf schwarzem Helm tritt er an den High Sheriff heran, der – vor Ehrengästen aus Kirche, Universität, Militär und Gemeinde – die Botschaft verkündet: König Charles III ist einziger und rechtmäßiger Herrscher über das Vereinigte Königreich.
Botschafter schwärmen aus
Während der Sarg mit Königin Elizabeth am Sonntag seinen Weg von Schloss Balmoral in die schottische Hauptstadt Edinburgh macht, führt man im restlichen Land eine Tradition fort, die aus einer Zeit ohne Telefon stammt. Nach der Verkündung des neuen Monarchen in London schwärmten Botschafter in die Städte des Reichs aus; zunächst in die Landes-, dann in die Grafschaftshauptstädte und später in kleinere Gemeinden. In Oxford nordwestlich von London kennen natürlich alle die Neuigkeiten, dennoch pilgern am Sonntag Tausende Schaulustige in die Innenstadt.
„Die Briten sind gut darin, Theater zu machen“, sagt Kamilla Tickson, als die Polizei ein paar Stunden vor dem Event Absperrungen errichtet. König Charles sei der vierte Monarch, den sie erlebt; sie messe dem Event nicht allzu viel bei. Dennoch hat sie es sich nicht nehmen lassen, möglichst früh einen Platz zu sichern. Es sind nicht nur treue Royalisten, die dem Event beiwohnen.
„Wer ist König?“
„Wer ist nochmal König?“, fragt der Schweizer Jean Migret seinen Studienkollegen. Adam Gardner aus Leicester zuckt entschuldigend mit den Schultern: „Ich interessiere mich nicht so für die Königsfamilie.“ Aber neugierig waren sie doch. Und als das zweite Mal „Long Live The King“ durch die Altstadt schallt, stimmen sie ein.
"Seismischer Schock"
Die Luft ist schwer vor Trauer und Hoffnung in gleichen Teilen.“ „Obwohl sie bereits so alt war, nimmt es einen so mit“, sagt Claire Wright, die mit ihrem Mann Ben zuvor den Trauergottesdienst in der Christ Church Cathedral besucht hat. Vor einem Porträt der Monarchin mit schwarzer Trauerbinde verglich der Erzdiakon bei seiner Predigt den Tod der Königin mit einem „seismischen Schock“, dessen Wellen die Identität des Landes bis ins Herz erschütterten.
"Königin - auch gut"
In Oxford trifft man in jedem zweiten Schaufenster auf ein Gemälde der Königin, die Kirchen bieten die ganze Woche Trauergottesdienste an und die Anzeigen der Busse verkünden neben ihrem Fahrtziel auch die Eckdaten der verstorbenen Monarchin. Die fünfjährige Naila zündet wie so viele im Vorraum der St Aldates Kirche eine Kerze für die Königin an. „Natürlich“, sagt ihre siebenjährige Schwester Abena, „ist aber nichts falsch an einem König – aber Königin ist auch gut.“
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