Experte: "Russland wird bis zur militärischen Kapitulation kämpfen"

Russland-Experte Gerhard Mangott zeigt sich pessimistisch und sieht Putin in einer "Informationslücke" über Vorgänge in der Ukraine.

Ob er es für möglich gehalten hätte, dass eine Kriegsgegnerin für eine Unterbrechung der abendlichen russischen Hauptnachrichtensendung sorgen könne? "Auszuschließen war es nicht", erklärt Politikwissenschafter Gerhard Mangott in der ORF-Sendung ZIB 2. Bereits in der Vergangenheit habe es schließlich ähnliche Zwischenfälle zu weniger brisanten Fällen gegeben.

Diesmal handle sich jedoch um die wichtigste Nachrichtensendung des Landes und die russische Führung sei darum bemüht, den Ukraine-Diskurs nach innen zu kontrollieren. Er halte es für wahrscheinlich, dass die Frau nach dem neuen russischen Gesetz verurteilt werde: Auf Falschaussagen über den Krieg stehen in Russland im Extremfall nun bis zu 15 Jahre Haft. Dort ist weiterhin offiziell von einer "militärischen Spezialoperation“ die Rede.

Diese "Spezialoperation" verläuft unterschiedlichen Quellen zufolge nicht gleich erfolgreich. Laut dem offiziellen Kreml-Sprecher laufe "alles nach Plan“; der Chef der russischen Nationalgarde, Viktor Solotow, räumte jedoch kürzlich ein, dass der Militäreinsatz in der Ukraine langsamer vorankommt, als geplant.

Die zweite Aussage schätzt der Russland-Experte als glaubwürdiger ein. Der Oberkommandierende der Nationalgarde sei besser mit Militär und Sicherheitsestablishments vernetzt und seiner Aussage daher mehr Glauben zu schenken. Der Präsidentensprecher sage eher, was man in Russland hören will.

Putin in "Informationslücke"

Auf die Frage, ob Putin selbst realistisch über die Vorgänge in der Ukraine informiert wird, antwortet Mangott, dass es sich hierbei um ein grundsätzliches Problem handle. Der russische Präsident befinde sich in einer Art "Informationslücke“. Sein engster Kreis sei deutlich reduziert und bestünde aus Leuten, die seine inhaltlichen Argumente teilen und den Krieg befürworten.

"Putin erhält Information, die zweckdienlich scheint." Niemand traue sich, dem Präsidenten zu widersprechen oder schlechte Nachrichten zu überbringen, sagt der Professor für internationale Politik an der Universität Innsbruck. 

Auf die Frage, ob der russische Plan sei, die ukrainische Führung in die Kapitulation zu bombardieren, antwortet der Experte: "Zunächst möchte die russische Seite die politische Kapitulation Selenskijs erreichen“. Sie solle die zentralrussischen Forderungen erfüllen.

Wenn Selenskij dies nicht tut oder die Forderungen innerhalb der Ukraine nicht durchsetzen kann, "bleibt nur die militärische Kapitulation". Dazu sei die russische Seite bereit, "jedes Mittel einzusetzen“, wie bereits aus früheren Kriegen bekannt sei. Bereits jetzt treffe das russische Militär nicht "zufällig“ zivile Einrichtungen, sondern "mit vollem Vorsatz, um die Moral der Bevölkerung zu brechen“.

Forderungen Russlands

Zu den Forderungen Russlands an die Ukraine zählen die offizielle Anerkennung der Krim und der Volksrepubliken von Donezk und Luhansk. Wäre so ein Verhandlungsergebnis im Alltag nicht ähnlich wie der – zwar nicht rechtliche – Zustand vor der russischen Invasion und für die Ukraine somit weniger schlimm als eine russische Besetzung oder ein andauernder Krieg?

Das verneint der Experte. Vor dem Krieg war die Ukraine zwar bündnisfrei, aber es gab eine enge militärische Zusammenarbeit mit den Nato-Staaten. Wenn die Ukraine jetzt neutralisiert würde, habe sie nur noch eine beschränkte Souveränität und außenpolitische Handlungsfreiheit, erklärt der Politologe. Das würde zukünftige Situation deutlich von dem unterscheiden, was die Ukraine vor dem Krieg erlebt hatte.

Doch was sind realistische Verhandlungsergebnisse? Selenskij sei nach eigenen Angaben bereit, über Neutralität zu diskutieren. Doch auch wenn er sie akzeptiere, bleibe ungewiss, ob er diesen politischen Kompromiss nach innen durchstehen und nicht seine Position in Gefahr geraten würde.

Russland werde von zwei Forderungen nicht abgehen: dem neutralen entwaffneten Status der Ukraine und der Anerkennung der Unabhängigkeiten der Republiken im Donbass nach den ursprünglichen Verwaltungsgrenzen und nicht jenen Kontrollierten der Separatisten, erklärt der Politologe.

Russland-Experte Mangott zur Entwicklung in der Ukraine

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