Ex-Guerillero könnte in Kolumbien bald Präsident sein

Ex-Guerillero könnte in Kolumbien  bald Präsident sein
Der Linkspolitiker Petro liegt in Umfragen vor dem Urnengang am Sonntag klar vor seinen konservativen Herausforderern – sein Sieg wäre eine historische Zäsur.

Aus Bogota Tobias Käufer

Normalerweise beendet ein solcher Auftritt die politische Karriere: Soeben aus Europa nach Kolumbien zurückgekehrt, stürzte sich Gustavo Petro wieder in den Wahlkampf. Trotz Jetlags und ein paar Schnäpsen zu viel trat der Linkspolitiker auf die Bühne. Die folgende Rede wurde zum Internet-Hit: Petro lallte vor roten Fahnen und jubelnden Anhängern. Doch es schadete ihm nicht – Petro wirkte volksnah, wie ein Nachbar, der in der Kneipe seine Ansichten äußert. Ganz anders als die Polit-Elite in Bogota.

Stimmen die Umfragen, dann gewinnt das Ex-Mitglied der Guerilla-Bewegung M19 (sie legte Anfang der 90er-Jahre die Waffen nieder) den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen am Sonntag. Ob der 62-Jährige allerdings die nötigen 50 Prozent für die sofortige Präsidentschaft erreicht, ist unklar. Wahrscheinlicher ist eine Stichwahl Ende Juni.

Linksbündnis

Kein anderer Politiker polarisiert derzeit so wie Petro, der mit seinem Linksbündnis „Pacto Historico“ für einen radikalen Wechsel steht. Die einen betrachten ihn als Hoffnungsträger, die anderen als Vorboten einer linken Diktatur wie in Venezuela oder Kuba. Petro gilt als Kritiker der USA, mit denen Kolumbien traditionell eng verbündet ist, und als Russlandfreund – was ihm den Spitznamen „Petrovsky“ beschert hat.

Seine Anhänger findet man überwiegend in der jungen Generation, die die teils brutal beendeten Sozialproteste ab 2019 getragen und nie etwas anderes erlebt hat als Rechtsaußen- oder Mitte-rechts-Regierungen.

Das Elend der Armen

Petro hat als Ex-Bürgermeister Bogotas die Nöte der armen Bevölkerung erkannt, die unter Corona-Nachwirkungen, Inflation und struktureller Benachteiligung leidet. Zwar hat Kolumbien in den vergangenen Monaten atemberaubende Wachstumszahlen verzeichnet, doch auf dem Land und in den Armenvierteln kommt zu wenig an. Das liegt auch daran, dass klassische linke Politik während des 2016 beendeten Krieges gegen die linke FARC-Guerilla von rechten Regierungen dämonisiert wurde.

„Für die Jungen wäre es enorm wichtig, zu erleben, dass ein friedlicher Machtwechsel möglich ist – an der Wahlurne“, sagt Ulrike Purrer dem KURIER. Purrer arbeitet in einem Kulturzentrum in der Stadt Tumaco, die besonders unter der Gewalt des Drogenhandels leidet. „Es gibt hier nicht einmal ein Abwassersystem, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch“, berichtet Purrer, sagt aber auch: „Die Sozialproteste haben die junge Generation politisiert.“

Kandidat verspricht Jobs

Petro verspricht soziale Gerechtigkeit, mehr und bessere Jobs und Frieden. Er verspricht, dass Menschenrechtsaktivisten nicht mehr ermordet, sondern vom Staat beschützt werden. Er verspricht den Stopp der Erdölproduktion und des Bergbaus.

Unterstützt wird er von der bekannten Afrokolumbianerin Francia Marquez, die als Vize-Präsidentin kandidiert und für den Umbau zu einer sozial gerechten, ökologischen Landwirtschaft eintritt. Sie legte einen starken Start hin, erlaubte sich dann aber Patzer. So machte sie den Import deutscher Eier für die hohen Eierpreise im Land verantwortlich. Der Haken: Kolumbien produziert alle Eier selbst, aus Deutschland kommen bestenfalls Überraschungseier.

Ex-Guerillero könnte in Kolumbien  bald Präsident sein

Petro mit seinem härtesten Konkurrenten Frederico „Fico“ Gutierrez (r.)

„Wenn Petro gewinnt, dann gibt es in vier Jahren keine Wahlen mehr“, fürchtet Ingrid Betancourt, eine prominente Vertreterin des gegnerischen Lagers. Die Politikerin, die ab 2002 sechs Jahre lang in den Händen der FARC war, trat zunächst selbst als Präsidentschaftskandidatin an, unterstützt nun aber den konservativen Ex-Bürgermeister Rodolfo Hernandez.

Petros härtester Gegenspieler ist allerdings der ebenfalls konservative Frederico „Fico“ Gutierrez, der offenbar aus den Fehlern des aktuellen Amtsinhabers Ivan Duque gelernt hat. Anders als der rechtskonservative Duque, der mehr oder weniger widerwillig den 2016 abgeschlossenen Friedensvertrag umgesetzt hat, stellte sich „Fico“ verbal hinter das Papier.

Eine Ära endet

Duque stammt aus dem Lager des rechten Hardliners und Ex-Präsidenten Alvaro Uribe (2002–2010) und kann laut Verfassung nicht erneut antreten. Damit geht eine Ära zu Ende, denn das Uribe-Lager hat es verpasst, sich nach dem Friedensschluss inhaltlich und personell neu aufzustellen. Mit Kriegsrhetorik lassen sich keine Wahlen mehr gewinnen, vor allem, wenn der ehemalige Gegner nicht mehr schießt, sondern selbst im Parlament sitzt.

Gutierrez ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner des konservativen Lagers – ein Petro-Verhinderer.

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