Nach Glawischnig-Klage: Facebook muss Hasspostings weltweit löschen

Nach Glawischnig-Klage: Facebook muss Hasspostings weltweit löschen
Glawischnig freut sich über "historisches" Urteil. Bürgerrechtler sind jedoch skeptisch.

Facebook kann nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gezwungen werden, Hasspostings und für rechtswidrig erklärte wort- und sinngleiche Kommentare zu entfernen. Das EU-Recht verwehrt es auch nicht, dass eine solche Verfügung weltweit zur Wirkung gelange, entschieden die EU-Richter am Donnerstag nach einer Klage der früheren Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig gegen Facebook (die Presseaussendung des EuGH lesen Sie hier).

Das bedeutet: Es genügt nicht, Hasspostings nur im betroffenen Land zu blockieren.

In dem EuGH-Verfahren (C-18/18) ging es um einen Artikel auf einer Facebook-Seite, auf der neben einem Foto Glawischnigs ein Begleittext ("Grüne: Mindestsicherung für Flüchtlinge soll bleiben") veröffentlicht wurde. Auf dieser Facebook-Seite wurden beleidigende Äußerungen gepostet, unter anderem wurde Glawischnig als "miese Volksverräterin" bezeichnet. Der Beitrag konnte von jedem Facebook-Nutzer abgerufen werden.

Glawischnig hatte in ihrem Kampf für die Löschung der betreffenden Postings von den unteren Instanzen Recht bekommen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hatte die Causa dann dem EuGH zur Auslegung der betroffenen Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr weitergeleitet.

Die EU-Richter stellten klar, dass es das EU-Recht nationalen Gerichten nicht verbietet, einen Online-Anbieter wie Facebook zu zwingen, mit einem zuvor für rechtswidrig erklärten Kommentar auch wortgleiche und unter bestimmten Umständen auch sinngleiche Kommentare zu entfernen. Das EU-Recht verwehre es auch nicht, dass eine solche Verfügung im Rahmen des einschlägigen internationalen Rechts weltweit Wirkungen erzeuge, wobei dies die EU-Staaten zu berücksichtigen hätten.

Facebook habe auch wortgleichen Inhalt zu entfernen oder den Zugang zu sperren, unabhängig davon, wer den Auftrag für die Speicherung gegeben habe, heißt es in dem EuGH-Urteil. Voraussetzung ist aber, dass die Informationen zuvor für rechtswidrig erklärt werden. Auch sinngleiche Beleidigungen muss Facebook demnach entfernen oder sperren. Letzteres allerdings offenbar nur, wenn das automatisiert möglich ist. "Die zu löschenden sinngleichen Kommentare müssen in ihren Einzelheiten genau beschrieben sein und es muss dem Hosting-Anbieter möglich bleiben, sie anhand automatisierter Techniken ausfindig zu machen", sagte ein Sprecher des Gerichts dem ZDF.

Glawischnig freut sich über "historisches" Urteil

Glawischnig bezeichnete das EuGH-Urteil in einer ersten Reaktion als "historischen Erfolg für den Persönlichkeitsschutz gegen Internet-Giganten". Das Urteil in dem von ihr geführten Musterverfahren biete eine klare Hilfestellung für alle Menschen, die beleidigt würden, oder über die Übles geschrieben werde. Diese Menschen wollten nämlich vor allem eine schnelle Löschung der entsprechenden Einträge.

Als historisch bezeichnete Glawischnig auch, dass die EU-Richter auch eine weltweite Löschung der Kommentare für Facebook nicht verwehrten. In Österreich seien solche Hasspostings zwar geblockt worden, aber durch Umwege über andere Länder noch immer im Netz. Freilich müsse man sich die Durchsetzbarkeit einer weltweiten Verfügung noch anschauen, sagte die frühere Grünen-Chefin.

Das Posting, um das es im vorliegenden Verfahren gehe, habe klar gegen österreichisches Recht verstoßen. Glawischnig sieht nunmehr durch das EuGH-Urteil die österreichische Rechtsprechung bestätigt. "Es geht nicht um die Einschränkung der Meinungsfreiheit", betonte sie. Die EU trete durch das Urteil selbstbewusst gegen Internet-Giganten auf, sagte Glawischnig. "Es ist ein Selbstbewusstsein für Grundrechte und Grundwerte." Persönlichkeitsschutz sei in der EU stärker verankert als etwa in den USA.

Nach Glawischnig-Klage: Facebook muss Hasspostings weltweit löschen

Glawischnigs Nach-Nachfolger an der Parteispitze der Grünen, Werner Kogler, freut sich wiederum über einen "großen Grünen Erfolg": "Wir haben erreicht, dass der Facebook-Konzern sich ­- wie jeder andere Provider auch - an die nationalen Gesetze halten und Gerichtsurteile umsetzen muss".

Die Grüne Ex- und Neo-Abgeordnete Sigrid Maurer hat sich besonders mit der Situation betroffener Frauen befasst: "Einen Prozess wegen Hassinhalten zu führen, ist für viele Menschen sehr belastend und kaum finanzierbar. Die rasche Löschung der Postings durch die Provider ist daher eine wichtige Möglichkeit, um die Rechte der Betroffenen zu schützen. Durch das neue Urteil besteht jetzt ein Druckmittel, damit Facebook seine bisherige Praxis, Postings fast nie zu löschen, ändert. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass effiziente Wege zur raschen Löschung, aber auch zur besseren rechtlichen Bekämpfung von Hass im Netz eingerichtet werden", sagt Maurer.

"Meilenstein"

Als "Meilenstein im Kampf gegen Hass im Netz" hat Glawischnigs Anwältin, Maria Windhager, das Urteil begrüßt. Der EuGH sei nicht nur weitgehend den Schlussanträgen des Generalanwalts gefolgt, sondern sei sogar noch einen Schritt weitergegangen, erklärte Windhager gegenüber der APA. "Die Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten wurde damit deutlich gestärkt: das Unionsrecht verwehrt es nicht, dass einem Hosting-Anbieter wie Facebook aufgegeben wird, mit einem zuvor für rechtswidrig erklärten Kommentar wortgleiche und unter bestimmten Umständen auch sinngleiche Kommentare zu entfernen."

Die besonders strittige Frage, ob auch sinngleiche Äußerungen zu entfernen seien, werde vom EuGH "sehr differenziert beantwortet" und entspreche der Rechtsprechung in Österreich zum Verständnis von sinngleichen Äußerungen. "Auch die Klarstellung zur weltweiten Löschungsverpflichtung ist von weitreichender Bedeutung. Facebook hat bis dato den inkriminierten Anlassartikel nur in Österreich gesperrt und schon damit laufend gegen die unstrittige Einstweilige Verfügung verstoßen.", erklärte Windhager. "Das Urteil ist damit ein voller Erfolg für Eva Glawischnig-Piesczek und die Grünen, die dieses Musterverfahren unterstützen", so Windhager.

Facebook ortet Probleme für Meinungsfreiheit

Eine Sprecherin des Konzern äußerte sich negativ zu dem EuGH-Urteil. "Dieses Urteil wirft kritische Fragen zur Meinungsfreiheit und zur Rolle auf, die Internet-Unternehmen beim Monitoring, Interpretieren und Entfernen von Äußerungen, die in einem einzelnen Land illegal sein können, spielen sollen“, hieß es am Donnerstag gegenüber der APA.

Facebook habe schon lange allgemeine Bestimmungen, welche Inhalte auf der Facebook-Plattform geteilt werden können und welche nicht. Außerdem gäbe es ein Verfahren, "um Inhalte einzuschränken, falls und wenn sie örtliche Gesetze verletzen. Dieses Urteil geht darüber hinaus", sagt die Facebook-Sprecherin.

Facebook fürchte um die Meinungsfreiheit im Internet. "Es öffnet auch die Tür für Verpflichtungen, die Internet-Unternehmen auferlegt werden können, Inhalte proaktiv zu überwachen und dann zu interpretieren, ob das 'gleichbedeutend' mit dem für illegal erklärten Inhalt ist.“ hieß es weiter.  Man fordere jetzt eine genaue Definition, was in der Umsetzung als "identisch" oder "gleichwertig" gilt.

Bürgerrechtsorganisation kritisiert "überbordendes" Urteil

Überraschend ist hingegen, dass auch die Bürgerrechtsorganisation epicenter.works das Urteil als "überbordend" kritisiert. In einer ersten Stellungnahme verweist die Organisation darauf, dass auch autoritäre Staaten ähnliche Regeln erlassen könnten, die zur Sperrung von Inhalten in Europa führen würden. Außerdem drohe "over-blocking" durch automatisierte Filter, was auch Satire treffen könne.

"Die Meinungsfreiheit und die Reichweite der Persönlichkeitsrechte sind in Europa nicht harmonisiert. Hier eine weltweite Anwendbarkeit der Urteile von nationalen Gerichten zu fordern, ist aus unserer Sicht überbordend", heißt es in einer Aussendung am Donnerstag. Die Organisation will das Urteil nun eingehend analysieren.

"Hochgradig problematisch" sei insbesondere die Verpflichtung, auch sinngleiche Aussagen zu sperren. Dies muss dem Spruch der EU-Höchstrichter zufolge nämlich möglich sein, ohne die jeweilige Internetplattform zu einer "autonomen Beurteilung" des Inhalts zu zwingen. Epicenter.works betont diesbezüglich, dass die automatisierte Erfassung des Kontextes einer Aussage - der ja den Sinn auch einer wortgleichen Äußerung verändern könne - derzeit nicht möglich sei: "Damit droht eine enorme Gefahr des over-blockings von Inhalten durch Uploadfilter, die etwa Satire oder Remixes, die eigentlich von der Meinungsfreiheit geschützt sein sollten, sperren."

 

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