EU-Ratspräsident bei EU-Videogipfel zu Corona: "Sitzen im selben Boot"

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel
Die EU-Kommission finanziert den länderübergreifenden Transport von Covid-Patienten bei Knappheit von Spitalskapazitäten. Kurz warnt vor Grenzschließungen.

In Kampf gegen die dramatische zweite Corona-Welle proben die EU-Staaten den Schulterschluss. "Wir sitzen alle im selben Boot", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel nach einem Videogipfel der 27 EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, dass die Kommission angesichts knapper werdender Krankenhauskapazitäten die Verlegung von Patienten in andere Mitgliedsländer mit 220 Millionen Euro finanziert.

Konkret verabredeten die Staats- und Regierungschefs in der rund dreistündigen Sitzung, gemeinsame Test- und Impfstrategien voranzutreiben und die unterschiedlichen Corona-Warn-Apps für Handys zu harmonisieren. Die 22 verschiedenen Apps sollen noch im November miteinander kompatibel werden, wie von der Leyen sagte.

Gemeinsamer Ansatz bei Schnelltests gesucht

Fast alle EU-Staaten verzeichnen inzwischen stark steigende Infektionszahlen. Allein vergangene Woche gab es in Europa nach Angaben der EU-Kommission 1,1 Millionen bestätigte Corona-Fälle, täglich werden etwa 1000 Covid-19-Todesfälle registriert. Die Intensivstationen füllen sich. Länder wie Frankreich, Italien, Spanien, Belgien, Tschechien und Deutschland haben bzw. werden das öffentliche Leben zurückfahren.

Michel sagte, im Kampf gegen die Pandemie brauche es einen gemeinsamen Ansatz bei der Verbreitung und Nutzung von Schnelltests. Die "Interoperabilität" der Smartphone-Apps solle bei der Kontaktverfolgung helfen. Man habe außerdem darüber gesprochen, die Quarantänedauer in Europa zu harmonisieren. Man wolle ferner, dass Impfstoffe effizient genutzt werden könnten, sobald sie zur Verfügung stünden. Man müsse einen logistischen Ansatz für effiziente Impfkampagnen finden sowie kommunikativ gegen "Fake News" zu Impfungen vorgehen.

Kurz warnte vor Grenzschließungen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) warnte vor der Schließung von Grenzen in der EU während der zweiten Welle der Corona-Pandemie. "Die Grenzen in Europa müssen offen bleiben", sagte Kurz laut Nachrichtenagentur AFP bei einer Video-Konferenz mit seinen EU-Amtskollegen. Alle Länder hätten "eine ähnliche Situation - manche sind ein paar Wochen voran, manche sind ein paar Wochen zurück". Viele EU-Staaten hätten aber bereits wieder "Lockdowns oder Lockdown-ähnliche Zustände". Sein Ziel sei "eine enge Koordinierung in der EU" bei den Covid-Maßnahmen, auch zum grenzüberschreitenden Reisen, meinte Kurz.

Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte ein koordiniertes Vorgehen und warnte vor allem vor erneuten Grenzschließungen im Binnenmarkt. "Gerade für Deutschland als Land in der Mitte Europas ist es wichtig, dass die Grenzen offen bleiben, dass es einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf gibt und dass wir gemeinsam die Pandemie bekämpfen", erklärte Merkel über ihren Sprecher Steffen Seibert. Zuvor hatte die Kanzlerin in einer Regierungserklärung im Bundestag am Donnerstagmorgen die Pandemie als Bewährungsprobe für Europa beschrieben - auch im weltweiten Wettbewerb der Systeme. Sie sei aber "überzeugt, dass wir europäisch auf die gegenwärtige Situation besser vorbereitet sind als zu Beginn der Pandemie".

Rumäniens Präsident Klaus Johannis (Iohannis) betonte bei dem Treffen nach eigenen Angaben vor allem die Notwendigkeit, "die Entwicklung und Verteilung von Impfstoffen für alle Mitgliedstaaten sicherzustellen". Solidarität sei "der Schlüssel zur Bewältigung der Krise", erklärte er auf Twitter.

Kein EU-Mitspracherecht in Gesundheitspolitik

Im Frühjahr hatte es bei der Zusammenarbeit in der EU sehr geholpert. Die Partner verärgerten sich gegenseitig mit Grenzschließungen und Exportstopps für Schutzkleidung. Zeitweise stauten sich Lastwagen an den Grenzen über Dutzende Kilometer. Seither geben sich die Staaten mehr Mühe, an einem Strang zu ziehen. Allerdings: In der Gesundheitspolitik hat die EU kaum mitzureden, das ist Sache der Mitgliedstaaten. Die Kompromisssuche bei Regeln zur Corona-Ampel für eine einheitliche Bewertung von Hotspots dauerte Wochen. Die EU-Staaten gelobten zwar immer enge Zusammenarbeit, wollten ihren Freiraum aber dann doch nicht einschränken, sagte ein Diplomat am Donnerstag.

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie sind nach Einschätzung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem Lockdown im Frühjahr manche Maßnahmen womöglich zu früh gelockert worden. "Wir haben Folgendes gelernt: Nachdem die erste Welle abgeebbt ist, haben wir natürlich im Sommer die Maßnahmen etwas gelockert, wohl auch zu schnell gelockert, und das geht aber nicht nur um die Reisen", sagte die Deutsche nach den Beratungen. Sie antwortete damit auf eine Journalistinnenfrage, ob es im Rückblick ein Fehler gewesen sei, die Wiederaufnahme des Tourismus im Sommer zuzulassen. Es gebe viele Variablen, die ausschlaggebend seien, um das Virus in Schach zu halten, sagte von der Leyen weiter. "Und wir müssen dabei immer bedenken, dass wir das Virus bekämpfen müssen, seine Ausbreitung einschränken müssen, bis wir in der Bevölkerung durch die Impfung genügend Immunität aufgebaut haben. Das heißt, da müssen wir sehr vorsichtig sein, wenn es darum geht, Maßnahmen wieder aufzuheben", befand die Kommissionspräsidentin. "Massives Testen" sei nun notwendig, unter anderem mit neuen Antigen-Schnelltests, sagte von der Leyen weiter. Und beim Thema Impfstoffe sei wichtig, dass sie einerseits schnell zugelassen würden, aber auch sicher seien und dann gerecht verteilt würden.

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