EU-Kommission: "Türkei hat sich deutlich von EU entfernt"

Präsident Recep Tayyip Erdogan
Keine Empfehlung zum Abbruch der Beitrittsgespräche. Lob gibt es nur in Sachen Migrations- und Asylpolitik.

"Die Türkei hat sich deutlich von der Europäischen Union entfernt." Zu diesem Schluss kommt die EU-Kommission in ihrem am Dienstag von Erweiterungskommissar Johannes Hahn vorgelegten Bericht für die Kandidatenländer. Die EU-Behörde empfiehlt zwar nicht ein Aussetzen der Beitrittsverhandlungen. Unter den derzeitigen Umständen könnten aber keine Verhandlungskapitel eröffnet werden.

Die EU-Kommission fordert die Türkei auf, den nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 eingeführten Ausnahmezustand aufzuheben. "Die Türkei muss den derzeitigen negativen Trend bei Rechtstaatlichkeit und Grundrechten vorrangig korrigieren, indem sie den Ausnahmezustand aufhebt und die Schwächung der Gewaltentrennung im politischen System angeht", verlangt die EU-Behörde. "Ernsthafte Rückschritte" verzeichne die Türkei in den Bereichen Justiz, öffentliche Verwaltungsreform, Grundrechte und Meinungsfreiheit.

 

"Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden mehr als 150.000 Menschen in Untersuchungshaft genommen und 78.000 wurden festgenommen. Über 150 Journalisten sind noch immer im Gefängnis, zusammen mit einer großen Anzahl von Schriftstellern, Menschenrechtsaktivisten, Anwälten und gewählten Vertretern." Mehr als 110.000 Beamte seien entlassen worden, rund 40.000 seien wieder eingestellt worden. Die auf den Ausnahmezustand gestützten 31 Dekrete seien von einer Kontrolle durch das Parlament und die Justiz ausgenommen, kritisiert die EU-Kommission. Sie hätten die bürgerlichen und politischen Rechte deutlich eingeschränkt.

Erst seit Dezember 2017 könnten Beschwerden im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand bei einer Kommission eingereicht werden. Trotz rund 107.000 Berufungsanträgen sei bisher nur wenigen stattgegeben worden.

Mit dem Referendum von 2017 sei die Türkei in ein Präsidialsystem umgewandelt worden. Der Europarat habe das Fehlen einer ausreichenden Gewaltentrennung ebenso bemängelt wie die Gefahr für die Trennung der Zuständigkeiten zwischen Exekutive und Justiz, heißt es in dem EU-Bericht. Im Parlament habe sich der Spielraum für Dialog weiter verringert, weitere Abgeordnete der pro-kurdischen HDP seien festgenommen worden, zehn von ihnen hätten ihr Mandat verloren.

Kritisch erwähnt wird in dem Bericht auch die türkische Militäroperation in Syrien. Während die Türkei das Recht habe, sich vor Terrorangriffen präventiv zu schützen, habe die türkische Militäroperation humanitäre Besorgnis und Angst vor einer neuen Gewalteskalation ausgelöst. Die Zusammenarbeit mit Griechenland und Bulgarien im Bereich Migration habe die Türkei zwar intensiviert, heißt es weiter in dem Report. Doch hätten die Spannungen mit Griechenland in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer nicht zu guten nachbarschaftlichen Beziehungen beigetragen, sondern die regionale Stabilität und Sicherheit untergraben. "Die bilateralen Beziehungen mit mehreren EU-Mitgliedstaaten haben sich verschlechtert, zeitweise mit offensiver und inakzeptabler Rhetorik." Keine Fortschritte habe es auch bei der Normalisierung der Beziehungen zu Zypern gegeben.

 

Dabei habe "die Tendenz, die staatliche Kontrolle im Wirtschaftsleben zu verstärken", auch das Geschäftsklima beschädigt, konstatiert die EU-Kommission. Das türkische Leistungsbilanzdefizit bleibe hoch. Anlass zur Sorge gebe auch die gestiegene Inflation und der Wertverlust der Lira. Keine Fortschritte gebe es auch im Kampf gegen die Korruption. Die Zahl von Verurteilungen ist laut EU-Kommission weiterhin niedrig, vor allem in Fällen auf höheren Ebenen.

Positiv erwähnt ist die Rolle der Türkei in der Migrations- und Asylpolitik. Die Türkei sei der Umsetzung des Flüchtlingsdeals von März 2016 verpflichtet geblieben. In Hinblick auf die Gespräche mit der EU zur Visa-Befreiung für die Türkei vermerkt die EU-Kommission, dass Ankara im Februar in Brüssel einen Arbeitsplan vorgelegt habe, wie die ausstehenden sieben Benchmarks der EU erfüllt werden sollen. Die EU-Kommission unterziehe den Plan einer Bewertung und werde mit den türkischen Stellen weiter beraten.

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