Reversibler Prozess
Wichtigste Neuerung im Plan der Kommission: Gibt es Rückschritte bei den Verhandlungen, setzt also ein Beitrittskandidat die verlangten Reformen nicht um, kann der Beitrittsprozess angehalten, suspendiert oder im schlimmsten Fall überhaupt beendet werden.
„So ganz grundlegend neu sind die Vorschläge der Kommission ja nicht“, gibt ein hochrangiger EU-Politiker in Brüssel zu bedenken. Siehe das Beispiel Türkei: Seit mehreren Jahren liegen die
Beitrittsgespräche mit der Türkei auf Eis. Neue Verhandlungskapitel werden nicht mehr geöffnet, die Vorbeitrittshilfen werden jährlich weiter gekürzt.
Offiziell beendet werden die Verhandlungen aber nicht, obwohl Österreich stets darauf pocht. Die Mehrheit der EU-Staaten möchte die ohnehin nur noch schwachen Drähte nach Ankara nicht endgültig kappen.
Die neuen Beitritts-Regeln könnten auch Serbien und Montenegro gelten. Mit der Regierung in Podgorica wird seit 2012, mit Belgrad seit 2014 verhandelt. Das hieße: Auch für sie stünde schlimmstenfalls ein Stopp der Beitrittsgespräche im Raum, kommen die geforderten Reformen im Land nicht voran.
Der neue Erweiterungsplan gilt als Zugeständnis an Frankreich – und vor dort kommt bereits Signale der Zustimmung. „Paris wollte einen reversiblen Prozess“, sagte Europaministerin Amelie de Montchalin, „das bedeutet, dass wir uns nach vor und zurück entwickeln können.“
Gibt Frankreich seinen Widerstand auf, wäre der Weg für den Beginn für Beitrittsgespräche mit Nord-Mazedonien und
Albanien frei. Fast: Denn neben Paris müssen auch noch die erweiterungsskeptischen Niederlande und Dänemark zustimmen, dass beide Balkanstaaten ausreichende Reformen durchgeführt haben.
Deutschlands Staatsminister
Michael Roth aber gab sich am Dienstag in Brüssel optimistisch: „Ich hoffe, dass wir im März grünes Licht erteilen können.“
Bittere Enttäuschung
Frankreichs Blockade hat nicht nur in Nord-Mazedonien und Albanien schweren Frust ausgelöst: Nordmazedonien hatte sich nach jahrelangem Streit mit Griechenland durchgerungen, seinen Namen zu ändern. Und in Albanien wurde eine umwälzende Justizreform ins Rollen gebracht, die nahezu die Hälfte aller Richter und Staatsanwälte des Landes aus ihren Ämtern fegte.
Aber auch innerhalb der EU war die Enttäuschung groß. Österreich setzt sich seit Jahren vehement für die Aufnahme der Balkanstaaten in die EU ein. Und Frankreichs Veto legte überdies eines der wenigen Machtinstrumenet der EU lahm – die Erweiterungspolitik. Die neue EU-Kommission, die sich als „geopolitische Kommission“ versteht, erhöhte nun den Druck auf Frankreich: Will die EU den Balkan nicht dem wachsenden Einfluss Chinas oder Russland überlassen, müsse sie den Balkanländern auch mehr anbieten.
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