Türkei in der Krise: Erdoğan-Regierung zielt auf Absetzung von Oppositionsführer

Türkischer Präsident Tayyip Erdogan vor Türkei-Flagge
Demokratieaktivisten kritisieren die türkische Justiz als der Regierung hörig und warnen, das Land sei auf dem Weg in einen autoritären Staat.

In der Türkei setzt die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan darauf, den Kopf der wichtigsten Oppositionspartei auszuschalten. Ein Gericht soll am Montag über die Absetzung des Vorsitzenden der CHP, Özgür Özel, entscheiden. Kritiker sehen in dem Verfahren einen Versuch der Erdogan-Regierung, die Opposition weiter zu schwächen.

Die Anklage wirft der linksnationalistischen CHP Verfahrensfehler bei der Wahl Özels vor zwei Jahren vor, was die Partei bestreitet. Sollte das Gericht die Wahl Özels annullieren, könnte es einen Treuhänder ernennen, um die CHP zu leiten. 

Die Regierung beschuldigt die CHP der Korruption und sagt ihr Verbindungen zum Terrorismus nach. Daher setzt sie auch die Justiz gegen sie ein. Demokratieaktivisten kritisieren die türkische Justiz als der Regierung hörig und warnen, das Land sei auf dem Weg in einen autoritären Staat.

Die Republikanische Volkspartei (CHP) hält das Verfahren für haltlos und politisch motiviert. Özel kündigte an, er werde seinen Posten nicht aufgeben und könne zur Not Millionen von Türken zu Protesten mobilisieren. CHP-Delegierte haben einen außerordentlichen Parteitag für den 21. September einberufen. Dort soll Özel formell wiedergewählt werden. Erdogan sprach von einer eklatanten Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und warnte: "Solche Verantwortungslosigkeit wird nicht toleriert werden."

Laut Verfassung hat kein Gericht in der Türkei die Befugnis, über die Rechtmäßigkeit von Wahlen zu entscheiden. Das steht nur dem Hohen Wahlausschuss zu. Dieser hat die parteiinterne Wahl Özels zum Vorsitzenden der CHP 2023 anerkannt. Dennoch könnte ein Gericht in Ankara nun die Wahl Özels rückgängig machen. Das Gericht könnte auch die Wiedereinsetzung des ehemaligen Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu anordnen. 

Kılıçdaroğlu war bei der Präsidentschaftswahl 2023 für die CHP gegen Erdogan angetreten. Er wurde knapp besiegt und später auch als CHP-Chef gewählt. Zahlreiche Parteifreunde würden indes eine Rückkehr Kılıçdaroğlus nicht begrüßen: Viele werfen ihm vor, sich Erdogan angenähert zu haben, was dieser bestreitet.

Warnung vor "Zusammenbruch des Mehrparteiensystems"

Für das Verfahren gegen Özel scheint es ein Muster zu geben. Bereits vor zwei Wochen ordnete ein Gericht die Absetzung des CHP-Parteivorsitzenden für die Provinz Istanbul an. Grund dafür sollen ebenfalls Verfahrensfehler bei seiner Wahl zum Vorsitzenden im CHP-Verband der Provinz gewesen sein. Sollte es zu einer Absetzung auch des Vorsitzenden des türkischen Landesverbandes kommen, wäre das für die Demokratie des NATO-Staates fatal, sagt Berk Esen von der Sabanci-Universität: "Das wäre der Zusammenbruch des Mehrparteiensystems in der Türkei."

Erdogan geht seit fast einem Jahr mit zunehmender Härte gegen die CHP vor. Hunderte CHP-Mitglieder wurden verhaftet, darunter der Oberbürgermeister Istanbuls, Ekrem İmamoğlu. İmamoğlu gilt als Erdogans wichtigster Konkurrent. Bei den Kommunalwahlen 2024 konnten er und seine Partei zum ersten Mal Erdogans AKP überflügeln.

(Von Huseyin Hayatsever und Jonathan Spicer/Reuters)

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