Trittin wegen Pädophilen-Forderung unter Druck

Ein Mann mit hellen Haaren und einem grauen Jackett blickt nach oben.
Der Grünen-Spitzenkandidat plädierte in den 80ern für Straffreiheit unter bestimmten Voraussetzungen. Er "bedauert".

Zwei aktuelle Affären drohen den Anspruch der Grünen als Moralhüter in der Politik knapp vor der Wahl empfindlich zu beschädigen. Die erste kam im Sommer hoch, als die Welt die einstige Forderung der Grünen von Straffreiheit für Sex mit Kindern aufdeckte. Die war Anfang der 80er-Jahre auf Grünen-Parteitagen sogar in Programmentwürfen enthalten.

Prominentester Befürworter war ihre Leitfigur Daniel Cohn-Bendit, später grüner Fraktionschef im EU-Parlament. Er hatte selbst über eigene sexuelle Handlungen mit kleinen Kindern geschrieben. Heute will er das nur theoretisch gemeint haben.

Die Grünen-Führung, die die Missbrauchsfälle der katholischen Kirche schärfer angeprangert hatte als sonst wer, hoffte die Debatte über ihre eigene Vergangenheit mit einem Untersuchungsauftrag an den Politikwissenschaftler Franz Walter auf später zu verschieben. Doch der war fleißiger als erwartet und hat nun auch den Spitzenkandidaten Jürgen Trittin im Visier.

Dieser hatte 1981 im Wahlkampf in Göttingen einen Aufruf verantwortet, der die Straflos-Stellung von gewaltlosem Sex mit Kindern forderte. Trittin räumte das auf Nachfrage der taz ein und „bedauert das“. Man habe sich von solchen Initiativen zu wenig abgegrenzt, „das war ein Fehler.“

Doch Walter wirft den Grünen mehr vor: „In der moralischen Hybris, sonst die Guten zu sein, herrscht nun aus Wahltaktik ein Gemisch aus Ratlosigkeit, Lähmung und Furcht vor der Debatte.“

Der CDU-Politiker Philipp Mißfelder fragte nun Trittin öffentlich, ob er „sich noch als der Richtige für Führungsaufgaben“ sehe.

Luxusdienstwagen

Der zweite Fall ist nicht weniger lästig. Nach dem rot-grünen Sieg in Niedersachsen hatte sich im Frühjahr der neue grüne Staatssekretär im Umweltministerium, Udo Paschedag, als erste Amtshandlung einen Luxusdienstwagen bestellt: Einen Audi 8, den auch die Kanzlerin fährt – er aber in Langversion mit Massagesitzen. Dabei berief sich der Grüne ausdrücklich auf die Zustimmung von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil.

Als das bekannt wurde, stellte der das in Abrede und entließ den Grünen, der niedersächsischen Großbauern die grüne, kleinteilige Landwirtschaft hätte vermitteln sollen, einen ihrer Wahlkampfschlager. Die Opposition in Hannover trommelt nun mit Landtagssondersitzung und U-Ausschuss gegen Weil.

Wahlkämpfer von CDU und FDP nutzen beide Themen gegen Rot-Grün – laut Umfragen erfolgreich.

20 Fakten über die deutschen Grünen

Zwei Personen posieren hinter dem grünen Schriftzug „GRÜN“.

Germany's environmental Green party candidate Kuen
Ein Mann steht neben einer grünen Flagge mit der Aufschrift „Atomkraft? Nein Danke“.

Trittin of the Green environmental party takes par
Ein Mann klatscht Beifall, während eine Frau daneben lächelt.

German Green Party members and candidates Trittin
Ein Mann mit Schnurrbart gestikuliert vor einem Banner mit der Aufschrift „Der Wechsel“.

JUERGEN TRITTIN SPEAKS AT GREEN PARTY MEETING
Ein Mann mit Schwimmweste überquert eine kleine Brücke inmitten von hohem Gras.

Werrafahrt der Grünen
Eine Gruppe von lächelnden Personen in Anzügen steht zusammen.

Gruppenbild Kabinett
Ein Porträt von Joachim Löw, der nach oben blickt.

GERMANY POLITICS PARTIES GREENS
Ein Mann hält eine Rede vor einem grünen Hintergrund mit dem Logo der Grünen.

Landesparteitag Grüne NRW
Eine Frau und ein Mann klatschen Beifall.

GERMANY POLITICS PARTIES GREENS
Eine lachende Frau umarmt einen lachenden Mann vor einem grünen Hintergrund.

Leaders of Germany's environmental party Die Gruen
Eine Frau spricht vor einem Hintergrund mit dem Logo von Bündnis 90/Die Grünen.

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Eine grüne Gummiente mit einer gelben Blume auf der Brust.

Parteitag der Grünen
Ein Mann mit dunklen Haaren und einem Hemd blickt nachdenklich zur Seite.

Die deutschen Grünen haben sich in den frühen 80er-Jahren dafür ausgesprochen, sexuelle Handlungen von Erwachsenen mit Kindern, wenn sie gewaltfrei sind, straffrei zu stellen. Einer der Verantwortlichen für diesen Inhalt eines Wahlprogrammes ist der heutige Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin.

Nun könnte man das als „Jugendsünde“ der Grünen aus einer Zeit abtun, in der Pseudo-Fortschrittlichkeit und -Intellektualität selbstverliebter Kommunarden absurde Gesellschaftsbilder gebar, auf die heute kein gesunder Mensch bei Verstand käme. Und Trittin hat den Fehler von einst eingestanden und bedauert. Andererseits reichen auch die Vorwürfe gegen sexuellen Missbrauch in Schulen und Kircheneinrichtungen Jahrzehnte zurück und werden zurecht als kriminell verfolgt.
Der Unterschied ist: Es wurde (noch) kein Grüner der sexuellen Tat bezichtigt oder überführt. Und es waren die Grünen selbst, die vor Monaten um mehr als 200.000 Euro einen externen Forschungsauftrag zur Klärung der „pädophilen grünen Vergangenheit“ vergaben. Dass das Ergebnis jetzt, eine Woche vor der Bundestagswahl, an die Öffentlichkeit gelangte, ist zumindest eine unfreiwillige und nicht zu unterschätzende Strafe/Buße.

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