Europas Krisenmanagerin: Merkel wird 60

Angela Merkel in einem pinkfarbenen Blazer lächelt.
Deutschlands "Mutti" hat Geburtstag und bekam ein ungewöhnliches Ständchen - von Journalisten.

Die einzige öffentliche Feier heute ist typisch: Die CDU-Bildungseinrichtung lädt zum Festvortrag des Historikers Jürgen Osterhammel. Dessen Hauptwerk stellt die erste Globalisierung im 19. Jahrhundert positiv dar. Es brachte ihm den höchsten deutschen Wissenschaftspreis – und die mächtigste Frau der Welt als Fan. Denn auch die denkt langfristig. Jeder Wahlkampfauftritt des letzten Herbstes enthielt die in China gelernte Warnung: 1950 stellten die Europäer ein Viertel der Weltbevölkerung und die Hälfte des Welteinkommens, 2050 werden sie nur mehr fünf Prozent sein – und um ihre hohen Sozialstandards kämpfen müssen. Mit Besser-Sein.

Wie das gehen soll, darüber bleibt Angela Merkel seit 2005 aber vage: Damals verlor sie beinahe ihre fast schon sichere Wahl, weil ihre Alternative zum SPD-Kanzler Schröder den Deutschen zu liberal war. Seit diesem Schock des ersten nur hauchdünnen Wahlsiegs bleibt Merkel den Kompass schuldig. Seither glänzt sie in Taktik, nicht Strategie. Auch das CDU-Programm ist vage, ja unwichtig. Der Weg ist das Ziel. Und das ist Machterhalt.

Der funktioniert so: Kein deutscher Politiker verspricht so wenig wie Merkel. Keiner hält aber das Versprochene so bemüht. Bei der letzten Wahl gelobte sie nur höhere Mütterrenten und die Verhinderung der von SPD bis ganz links gewollten Steuerorgie. Das war nicht viel, aber ausreichend.

Sie vermeidet jede Attitüde der Macht. Lieber pflegt die Physikerin das Bild der Biederkeit. Merkel ist die intellektuelle Herausforderung des Politspiels auf Weltniveau mit täglich 16 Stunden Höchstkonzentration Motivation genug. Ein Privatleben mit maximaler Diskretion ist Voraussetzung und Markenzeichen.

"Ossi-Tusse"

Helmut Kohl spricht mit Angela Merkel, die eine karierte Jacke trägt.
File photo of Environmental Minister Angela Merkel (R) chatting with German Chancellor Helmut Kohl during a parliamentary debate, April 25, 1995. Merkel will celebrate her 60th birthday on July 17, 2014. REUTERS/Michael Urban/Files ( - Tags: POLITICS ANNIVERSARY)
Pragmatismus pur trotz vager Ziele ist für Merkel kein Widerspruch, es bedingt einander sogar. Ihre atemberaubende Karriere aus dem grauen Nebel der DDR in nur 15 Jahren an die faktische Spitze Europas ist Lehrbeispiel taktischen Understatements und Timings. Alle die "Ossi-Tusse" belächelnden Alpha-Männer im Westen hat sie geschafft. Damit kann sie es sich jetzt leisten, Innenpolitik und Parteiarbeit an Vasallen zu delegieren: Nur bei echten Problemen greift sie mit stets verblüffender Sach- und Detailkenntnis ein. Nach achteinhalb Jahren auch international Dienstälteste, fällt ihr immer mehr EU- und Weltpolitik zu. Krisenmanagement ist ihre größte Stärke. Hier macht Merkel Geschichte, und das immer lustvoller. Sie verkörpert Deutschlands Wiederaufstieg als Führungsmacht Europas, eine ganz heikle Rolle.

Vielleicht ab 2017 auch als Chefin des Europäischen Rats in Brüssel. Sie wolle der erste freiwillig abtretende deutsche Regierungschef werden, streut ihre Umgebung. Und nicht abgewählt werden, wie ihr Mentor und Vorvorgänger Helmut Kohl, dessen "Aussitzen" sie mit ihrem Abwarte- und Laviermodus perfektionierte: Kompromisse sind Machterhalt. Ideologie und Eitelkeiten stören.

Gespür für Stimmungen

Die Hände einer Person liegen vor einem roten Blazer mit zwei Knöpfen.
File photo of German Chancellor Angela Merkel gesturing during the 36th German Cities Council in Stuttgart May 4, 2011. Merkel will celebrate her 60th birthday on July 17, 2014. REUTERS/Michaela Rehle/Files (GERMANY - Tags: POLITICS ANNIVERSARY)
Die weitere Sozialdemokratisierung des Landes durch den Koalitionspartner SPD macht zwar Wirtschaft und Mittelstand immer mehr Sorgen. Solange aber die keine echte Alternative haben, müssen sie Merkels Union wählen. Und viele Profiteure des Supersozialstaats, vor allem die Rentner, sehen in ihr den besseren Garanten, weil sie ihm die Finanzen seriöser sichert.

Denn Merkels Erfolg surft auch auf der Welle einer dynamischen Wirtschaft, die Krisen und immer neue Belastungen offenbar problemlos wegsteckt. Die größte ist die misslingende "Energiewende" nach dem Fukushima-Unfall. Sie war einer der wenigen Fälle, wo Merkel spontan, ja emotional entschied. Die Stimmung im Volk kippte gegen Atomkraft, und für Stimmungen hat Merkel ein Gespür.

Mit all dem schafft sie in der sich rasant auffächernden Gesellschaft 42 Prozent. Ihre Union ist die letzte echte Volkspartei in Europa. Mehr Vertrauen geht kaum. Merkel ist für die Deutschen die Glaubwürdigste durch ihre Symbiose von Auftreten und Tun, die Garantin der Sicherheit: Deutschlands "Mutti", längst nicht nur mehr in der Berliner Politszene. Ihr darf, wer zu den 1000 Geladenen zum Vortrag gehört, persönlich gratulieren.

Zum heutigen Geburtstag gab es ein Ständchen

Die Feministin und Publizistin gratulierte Merkel auf ihrer Homepage aliceschwarzer.de – hier einige Auszüge: „Vermutlich war es ihr am Anfang gar nicht klar, dass dieser Weg für eine Frau in unserer Gesellschaft eigentlich unmöglich ist. Die gelernte Physikerin dachte wohl: Ich bin ein tüchtiger Mensch, also kann ich es doch einfach mal versuchen. (...) Sie hat gelernt, über das Thema ,Frauen‘ nicht mehr öffentlich zu reden. Zu heiß. (...) Bis heute macht die Kanzlerin ihre Konzessionen an den rechten Flügel der Union gerne auf Kosten der Frauen. (...) Doch gleichzeitig handelt die Kanzlerin, indirekt. (...) Und vor allem: Ihre Vorbildfunktion ist Gold wert. Seit Merkel wissen die kleinen Mädchen: Ich muss nicht Friseurin, ich könnte auch Kanzlerin werden. (...) Irgendwie hatten sie den Genossinnen in der realsozialistischen DDR nicht deutlich genug eingebläut, dass sie nur Frauen sind. Auf dem Papier gleichberechtigt, in ,Männerberufen‘ wie Kranführer oder Physiker präsent, vom Staat bei der Kindererziehung mit ausreichend Krippen etc. entlastet; und vor allem: nicht 24 von 24 Stunden beschäftigt mit Diäten, Schminktipps und Modefirlefanz. Das setzt Kräfte frei. Und schafft Selbstbewusstsein. (...) Auch ich gratuliere, Frau Bundeskanzlerin!“

Ein Porträt eines Mannes mit braunen Haaren und einem dunklen Anzug vor einem hellblauen Hintergrund.
Hamburg/ ARCHIV: RTL-Gruender Helmut Thoma, aufgenommen in Hamburg (Foto vom 20.07.07). Der fruehere RTL-Geschaeftsfuehrer sieht fuer Castingshows und Reality-Formate im Fernsehen keine grosse Zukunft mehr. "Ich denke, dass diese Formate langsam auslaufen", sagte Thoma der Nachrichtenagentur dapd. (zu dapd-Text) Foto: David Hecker/dapd
Helmut Thoma, Medien-Manager ( RTL): "Wenn man ihre Karriere betrachtet, so stellt man fest, dass diese auf einer sehr pragmatischen und bodenständigen Einstellung getragen wird. Diese weitgehend ideologiefreie Politik entspricht offenbar den Bedürfnissen der deutschen Bevölkerung und kommt auch den Erfordernissen der internationalen Politik, speziell in Europa, entgegen. Besonders vorteilhaft hat sich auch erwiesen, dass Frau Merkel auf den Reformen des Vorgänger-Kabinetts Schröder aufbauen konnte."
Niki Lauda mit roter Novomatic-Kappe.
Interview mit Ex-Formel 1 Rennfahrer Niki Lauda am 03.02.2014 in Wien
Niki Lauda, Aufsichtsratspräsident und Miteigentümer des Mercedes-Formel-1-Teams:
"Wenn eine Frau nach fast neun Jahren im Kanzleramt noch immer dort sitzt – und wahrscheinlich noch lange dort sitzen wird –, dann ist sie eine außerordentliche, tolle, fundierte, gescheite Politikerin. Was Merkel besonders herausragend macht, ist, dass sie auf absoluter Augenhöhe mit den Obamas dieser Welt kommuniziert und dabei auf den Punkt kommt. Sie hat klare Ansichten und kann deshalb auch klare, erfolgreiche Politik machen."

Kommentare