Merz zu Starmer: "Wir schlagen heute ein neues Kapitel auf"

Bis vor Kurzem war Krieg ein Wort, das Großbritannien und Deutschland in gemeinsamen Gesprächen aussparten. Zu tief saß das Trauma der jüngeren Geschichte. Am Donnerstag stand es bewusst im Raum. „Es hat mich überrascht“, erklärte der deutsche Kanzler Friedrich Merz beim Pressetermin in der Londoner Downing Street, „dass dies das erste Abkommen unserer beiden Länder seit dem Zweiten Weltkrieg ist.“
Merz spielte auf den Kensington-Vertrag an – inoffiziell bereits als „Freundschaftsabkommen“ tituliert –, den beide Regierungschefs kurz davor im Victoria-&-Albert-Museum unterzeichnet hatten. Im Zentrum steht ein weitreichender Verteidigungspakt.
Er sei laut Merz „eine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit“.

Starmer und Merz beim gemeinsamen zweiten Pressetermin des Tages - in der Airbus-Fabrik.
Russland habe die europäische Sicherheitsarchitektur erschüttert und „die transatlantischen Beziehungen“ einen „tiefgreifenden Wandel durchlaufen, wie wir ihn schon lange nicht mehr erlebt haben“ (Stichwort „America First“). Es sei Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Gemeinsame Übungen, koordinierte Exporte
Künftig sollen also gemeinsame Militärübungen stattfinden, Waffenexporte koordiniert und Cyberbedrohungen in Zusammenarbeit bekämpft werden. Außerdem – ein Durchbruch für Starmer – wird Deutschland die Gesetze gegen Schmugglerbanden verschärfen.

Auch jenseits sicherheitspolitischer Fragen wird die Zusammenarbeit intensiviert. Der bilaterale Handel soll angekurbelt, Zugverbindungen verbessert, Schüleraustausch erleichtert und den Briten bei der Passkontrolle Zutritt zu eGates verschafft werden.
Tabuwort Brexit
Einen Seitenhieb konnte sich Merz beim Pressetermin aber doch nicht verkneifen. Ein bilaterales Abkommen zwischen Großbritannien und Deutschland war bis vor Kurzem auch deshalb nicht notwendig gewesen, weil „wir euch in der EU hatten“.
Es war ein Moment, in dem Starmers Lächeln kurzfristig einfror. Dem Premier ist bewusst, dass die Überzeugungsarbeit beim Kensington Treaty nicht nur gegenüber der deutschen Regierung, sondern auch gegenüber der britischen Bevölkerung geleistet werden muss.
Der Londoner Politikwissenschafter Karl Pike von der Queen Mary University betont zwar, dass „eine stärkere Zusammenarbeit und engere Beziehungen (...) eine gute Nachricht für das Vereinigte Königreich, für Deutschland und für Europa im Allgemeinen“ sind. Doch es dürfte kein Zufall sein, dass der konservative Telegraph ausgerechnet Donnerstagmittag mit der Nachricht aufmachte, dass Großbritannien durch Starmers Brexit-Reset mit einer neuen Lebensmittelverordnung „gezwungen wird“, wieder in die EU einzuzahlen.
Doch Starmer betonte in der Downing Street einmal mehr: In diesen volatilen Zeiten führe an Zusammenarbeit kein Weg vorbei.

Der Besuch des deutschen Kanzlers kommt ja auch nur eine Woche nach dem Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dabei hat Großbritannien einem weiteren EU-Land intensive Kooperation zugesichert.
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