Karneval in Rio: Verdrängt der Kommerz die Samba-"Königinnen"?

Viviane Araujo - die "Königin der Königinnen" der Sambaschulen von Rio de Janeiro.
Viviane Araujo, Brasiliens "Königin der Königinnen", ist eine lebende Legende des Samba. Und doch könnte ihre Karriere bald enden - weil der Karneval zunehmend zum Geschäft wird. Davon kann auch eine Wienerin vor Ort berichten.

Gut zwei Stunden dauerte die Busfahrt aus Belford Roxo bis zum Sambodromo in Rio de Janeiro. Dann stürmen Felipe und Sandra so schnell es geht bis ganz hinunter ans Gitter. „Wir wollen ganz nah dran sein und das ist der beste Platz“, sagen sie stolz, als sie es bis ganz nach vorne geschafft haben. 

Wenn sie viel Glück haben, dann werden gleich die Stars des Sambodromo für ein kurzes Selfie anhalten. Im Gepäck haben sie eine handbemalte Pappe, auf der steht: „Viviane Araujo – Königin Note 10“. Die Bestmarke, die die Karnevalsjury vergeben kann.

Karneval in Rio: Verdrängt der Kommerz die Samba-"Königinnen"?

Felipe und Sandra haben ein selbstgebasteltes Schild mitgebracht. Darauf steht: "Viviane Araujo - Königin Note 10".

Und dann kommt an diesem brütend heißen Februartag „a rainha das rainhas“, wie die brasilianischen Medien Viviane Araujo (49) nennen: Die Königin der Königinnen. Nein, sie schwebt über den Asphalt des Sambodromos. TV-Schauspielerin, Model, Unternehmerin und seit 2008 die Königin der Sambaschule „Academico Salgueiro“.

Eine Tänzerin mit mehr als 15 Millionen Followern

Es ist der Tag des „Ensaio Tecnico“ an dem die Schulen ihren Probelauf organisieren. Alles ist dann so wie bei den großen weltweit beachteten Umzügen an den Karnevalstagen, nur ohne die offiziellen Kostüme und Mottowagen. Denn die darf jetzt noch niemand sehen. Es sind rund 50.000 Menschen gekommen, die meisten aus den Favelas, den Armenvierteln. 

Karneval in Rio: Verdrängt der Kommerz die Samba-"Königinnen"?

Karnevalskönigin Viviane Araujo beim Karneval-Probelauf in Rio de Janeiro 2025.

Der Eintritt ist frei. Es sind die wahren Fans da - während beim offiziellen Karneval vor allem gut betuchte Touristen und die, die es sich leisten können, die Tickets für umgerechnet mehrere hundert Euro kaufen. Dann ist das Publikum in den VIP-Logen auf den teuren Plätzen meist weiß. Beim „Ensaio Tecnico“ aber ist es überwiegend afrobrasilianisch; arm, dafür aber ehrlich begeistert, fachkundig und textsicher.

Die „Rainhas“ sind die Stars der Umzüge. Allein Viviane Araujo hat über 15 Millionen Follower auf Instagram. Der Prozess ihrer Transformation – das Schminken, das Anprobieren des Kostüms, jeder Auftritt wird von den Medien begleitet. Designer, Hairstylisten, Make-up – wer die Königinnen vorbereiten darf, ist selbst ein Star der Branche.

Viviane Araujo selbst war für einige Schulen aktiv, seit 2008 aber hat sie eine feste Heimat: "Es ist, als ob ich im Karneval meinen Seelenverwandten gefunden hätte. Ich war an mehreren Schulen und wurde sehr gut aufgenommen, sehr geliebt. Aber das hier ist mein Zuhause, das ist Salgueiro“, sagt Araujo pathetisch.

Samba ist wie Fußball: Es gibt Startrainer, Absteiger und Titel

Karneval in Rio de Janeiro ist aber vor allem ein knallharter Wettbewerb. Die Auftritte der Schulen erhalten für alles Punkte: Für die „Harmonie“ der Gruppen, das jeweilige Sambalied, den Auftritt des Fahnenpaares, die inhaltliche Vorführung ganz am Anfang, wenn es auch mal politisch wird, und natürlich für die Königin.

Karneval in Rio: Verdrängt der Kommerz die Samba-"Königinnen"?

Wenn im Sambodromo getanzt wird, kommen mehr als sechs Millionen Touristen.

Eine Jury bewertet jede Facette der Choreographie und am Aschermittwoch werden die Ergebnisse live im Fernsehen vorgelesen. Im vergangenen Jahr erreichte der Clip von Lorena Improta Kultstatus, als sie den Moment festhielt, als ihre Sambaschule Viradouro von der Jury die letzten noch fehlenden zehn Punkte zur Meisterschaft einsammelte: Eine Explosion der Freue.

Es ist wie beim Fußball, mit Titel und Abstieg, und die Trainer heißen bei den Sambaschulen „Carnevalescos“. Sie sind die Regisseure der Karnevalsumzüge. Die erfolgreichen unter ihnen sind besonders begehrt. Wer absteigt, wird auch mal entlassen.

„Du spürst den Druck, wenn Du als Königin über diese Straße gehst. Denn es ist eine ungeheure Verantwortung für die Gruppe“, sagt Janaina Krauskopf, die in Niteroi im Bundesstaat Rio de Janeiro geboren ist und mittlerweile in Wien lebt. Vor einigen Jahren ging sie selbst als Königin über die heiligen Meter des Sambodromo. In diesem Jahr kehrt sie zurück, als Sängerin der „Academicos de Niteroi“.

Karneval in Rio: Verdrängt der Kommerz die Samba-"Königinnen"?

Die heutige Wienerin Janaina Krauskopf wurde in Niteroi geboren, auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht von Rio de Janeiro. Früher tanzte sie selbst als "Königin" im Sambodromo.

Der Unterschied zwischen beiden Auftritten sei enorm: „Als Rainha musst Du in perfekter körperlicher Verfassung sein, denn alle schauen dich an. Du trainierst wie eine Leistungssportlerin für die Augen der Zuschauer und der Jury", sagt Krauskopf zum KURIER. "Als Sängerin musst du das Lied perfekt performen können. Hier musst Du die Ohren der Menschen überzeugen. Fehler führen zu Punktabzügen und dafür will natürlich niemand verantwortlich sein“.

Und so kommt es in der genau festgelegten Auftrittszeit immer wieder zu dramatischen Szenen, wenn einmal ein Mottowagen mit einem Motorschaden liegen bleibt oder eine Gruppe in Unordnung gerät.

Die Kommerzialisierung des Karnevals

In Zeiten der sozialen Medien ist die mediale Bedeutung der „Rainhas“ noch wichtiger geworden. Denn sie generieren Aufmerksamkeit und damit ein Werbeumfeld. Ihre Auftritte werden von unzähligen Kameras festgehalten, die Clips werden auf Instagram oder Tik Tok millionenfach abgerufen. 

Der übertragene Sender „Globo“ – der mediale Platzhirsch des Landes - sorgt inzwischen hinter den Kulissen für Druck und will kleinere Sambaportale aus der Arena drängen. Wer für die Rechte bezahlt, will Exklusivität. Globo entscheidet mit seinen Kameras auch mit darüber, wer Karriere macht und wer nicht. Wenn Gisele Bündchen in den VIP-Logen auftaucht, dann berichten die Klatschspalten weltweit darüber.

Karneval in Rio: Verdrängt der Kommerz die Samba-"Königinnen"?

Die Kommerzialisierung des Karnevals erinnert an jene des Fußballs. Die besten Sambastars generieren die höchsten Einschaltquoten und füllen das Sambodromo. In der Karnevalszeit gibt es Auftritte in den Straßen von Rio de Janeiro, in den TV-Shows und auf Events. Die „Rainhas“ sind aufgrund ihrer enormen Reichweite und der Verkörperung eines brasilianischen Schönheitsideals ein idealer Werbepartner für die Industrie.

Dürfen bald nur noch Prominente "Rainhas" sein?

Regelmäßig wird darüber spekuliert, wer eine „Rainha“ sein darf oder wird. Es sind Top-Models, Schauspielerinnen, TV-Moderatorinnen. „Dafür wird der Raum für Tänzerinnen aus der Favela aber immer kleiner. Das finde ich nicht so gut“ sagt Krauskopf. 

Vor wenigen Wochen berichteten die brasilianischen Medien, dass der neue Chef der Sambaschule Salgueiro „Adilsinho“ personelle Wechsel vornehmen wolle. Künftig sollten Prominente die begehrten Plätze als „Rainhas“ und „Musas“ bekommen, die dann wieder Medien und noch mehr Publikum anziehen würden. 

So könnte die Ära von Viviane Araujo, die im März 50 Jahre alt wird, zu Ende gehen, spekulieren die Blätter. Selbst die Tage des legendären Sambodromos könnten zu Ende gehen. Es gibt Überlegungen, eine neue Arena im Stil moderner Fußballarenen zu bauen - mit mehreren exklusiven Logen und Verkaufsständen. Der Karneval von Rio ist auf dem Weg einem Hochglanz-Produkt.

Kommentare