Zehn Jahre nach dem Terror: Der Bataclan-Türsteher, der Hunderte rettete
Eine Blume am Tatort erinnert an die Toten
Als Didi vor dem Bataclan erscheint, gibt es ein großes Hallo. Er reicht den Türstehern die Hand und umarmt manche von ihnen, die gerade vor dem Eingang eine Barriere aufstellen. Demnächst dürften die ersten Gäste für das Konzert eintrudeln. „Alles in Ordnung?“, fragt er. „Ja, Chef“, antworten die Männer.
Seit 2004 führt der 45-Jährige ein Unternehmen für Sicherheitspersonal. Das Bataclan ist die einzige Konzerthalle, in der er noch ab und zu selbst arbeitet. „Mit diesem Ort verbindet mich eine besondere Geschichte.“ Als vor zehn Jahren, am 13. November 2015, drei schwer bewaffnete Männer ins Innere eindrangen, 90 Menschen töteten und mehr als 300 weitere verletzten, war er hier. Und zwar in einer entscheidenden Rolle. „Der Ermittlungsrichter sagte mir später, dass es ohne mein Eingreifen ein paar hundert Tote mehr gegeben hätte.“
"Ich brauche keinen Rummel"
Didi, groß gewachsen und ganz in Schwarz gekleidet, gibt nur selten Interviews und wenn, dann ohne Foto und Nennung seines Nachnamens. Der Sohn algerischer Einwanderer erhielt im Mai 2016 mit lautstarker Unterstützung von Überlebenden des Anschlags die französische Staatsbürgerschaft. Die Medien berichteten darüber, er selbst erwähnt es nicht. „Ich brauche keinen Rummel um meine Person“, sagt er. „Ich habe einfach instinktiv gehandelt, ohne groß nachzudenken.“
Es ist 21.47 Uhr am 13. November 2015 und das Konzert der US-Band „Eagles of Death Metal“ in vollem Gang, als dumpfe Schüsse der Party ein jähes Ende setzen. 1600 Menschen befinden sich im Bataclan. Die Täter schießen wahllos in die Menge. Zwei von ihnen steigen in den ersten Stock, nehmen dort Geiseln. Der Dritte tötet von der Bühne aus weitere Menschen, bis ihn ein Polizeikommandant niederschießt, der auf eigene Faust eingedrungen ist. Daraufhin explodiert der Sprengstoffgürtel. Erst Stunden später beendet ein Sonderkommando der Polizei mit einem Sturmangriff den Horror. Am Ende sind die drei Terroristen tot.
Didi war zu diesem Zeitpunkt längst mit der Bergung von Verwundeten beschäftigt. Er hatte die Täter mit ihren Kalaschnikows ankommen sehen und war ins Innere gerannt, um eine Sicherheitstür zu öffnen. Während dadurch etliche Konzertbesucher entkamen, fand sich Didi selbst am Boden wieder. Schließlich rannte er zu einem weiteren Notausgang, um ihn aufzumachen. „Dass ich nicht getroffen wurde, war pures Glück.“ Danach floh er nicht etwa, sondern brachte Verletzte in ein Studentenwohnheim gegenüber. Von seinem Personal überlebten alle, doch niemand wollte mehr im Bataclan arbeiten. „Aber ich wollte weitermachen wie vorher, damit der Anschlag nicht mein Leben ändert“, sagt Didi. „Das wäre eine Art Sieg für die gewesen.“
Drei Mörder-Gruppen verübten an diesem Abend parallel Anschläge. Vor dem Fußballstadion Stade de France im Vorort Saint-Denis, wo die deutsche und die französische Mannschaft spielten, sprengten sich drei Angreifer in die Luft und rissen einen Mann mit in den Tod. Während drei Terroristen im Bataclan mordeten, erschossen drei weitere 45 Menschen auf den Außenbereichen von Pariser Cafés und Restaurants. „Das ist ein Kriegsakt, begangen von einer Terroristen-Armee“, sagte der damalige französische Präsident François Hollande ief erschüttert.
Der Anschlag war langwierig vorbereitet und von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien beauftragt worden. Zwei der Attentäter und eine Vertraute starben wenige Tage später bei einem Polizei-Angriff auf ihr Versteck in Saint-Denis. Von den zehn direkt beteiligten Männern überlebte nur Salah Abdeslam. Er hatte drei Täter mit einem Mietauto zum Bataclan gefahren. Noch in der Nacht ließ er sich von Freunden in die Brüsseler Gemeinde Molenbeek, seinen Heimatort, bringen. Im März 2016 wurde er dort verhaftet. Kurz darauf verübte seine Terror-Zelle zwei Anschläge in der belgischen Hauptstadt mit 32 Toten und mehr als 300 Verletzten. 2021 wurde Abdeslam zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.
Die Terrorattacken, die in den nächsten Jahren in ganz Europa folgen, verübten Einzeltäter oder kleine Gruppen. Sie waren nicht durchorganisiert wie die Pariser Attentatsserie. Als Konsequenz aus ihr wurden die französischen Sicherheits- und Geheimdienste reformiert. Ein Programm für die effizientere Überwachung von Rückkehrern aus Syrien und dem Irak entstand. Auf europäischer Ebene gab es Verbesserungen beim gemeinsamen Antiterror-Kampf, wie dem Austausch von Informationen über Täter oder Gefährder.
In Paris galt jahrelang die höchste Terrorwarnstufe. Es war eine prägende Erfahrung, Zielscheibe von Terroristen geworden zu sein, die das schlagende Herz der Stadt angriffen: die Lebens- und Ausgehfreude, die Lust am Fußball, an Musik. Die 132 Todesopfer hatten 17 verschiedene Nationalitäten, gehörten allen Religionen und Altersstufen an, auch wenn sie überwiegend jung waren: im Schnitt 35 Jahre alt. Während sich manche zurückzogen, gingen andere bewusst weiter aus. Die getroffenen Restaurants und Cafés öffneten wieder, ebenso wie das Bataclan nach Umbauarbeiten. „Wir haben nicht zugelassen, dass sie das zerstören, was wir lieben“, sagt Jean-Claude Parent, der sich nur JC nennt. „Ich gehe weiter in Konzerte, auch wenn ich zuerst immer nach den Notausgängen blicke.“
Jean-Claude Parent entkam den Terroristen.
Der 69-Jährige entkam an jenem Abend dem Anschlag im Bataclan dank Didi unverletzt. Über Opfervereinigungen kennt er die meisten derer, die wie er überlebt haben. Eine feste Gruppe von ihnen trifft sich regelmäßig, JC nennt sie „die Familie“. Im Mai hat sich einer von ihnen, der Graphiker Fred Dewilde, das Leben genommen. „Das war ein Schock für uns“, sagt JC. Jeder gehe anders mit dem Erlebten um. Manche überwinden es besser als andere. Und manche überwinden es nicht. Fred war der dritte Überlebende der Attentate, der Suizid begangen hat.
Was JC hilft, sind Begegnungen mit Schülern, Auszubildenden oder Gefängnisinsassen. Erst erzählt er vom Erlebten, dann hört er zu, geht in den Austausch. Er empfinde weder Hass noch Wut für die Angreifer, sagt der Pensionist. „Ich würde nur gerne verstehen, warum sie so gehandelt haben.“ Ganz gelingen, das gibt er auch zu, wird ihm das jedoch nie.
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