Conchita als Wahlkampfthema in Polen
Der Sieg der österreichischen Drag Queen Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest stößt in Polen auf Kritik. Einerseits erhofften sich viele von den Auftritten der drallen Folkloregirls von "Donatan und Cleo" den ersten Preis – jedoch gab es auch Diskussionen um zu viel Frivolität in der Show.
Der Rapper Donatan, der diesen Kritikern Humorlosigkeit unterstellt hatte, warnte letzte Woche auf Facebook vor dem Sieg der österreichischen Kandidatin: "Wenn unsere gesunden Mädchen auftreten, wirft man uns Sexismus vor. Aber wenn ein Weib mit Bart auftritt, ist alles ok. Europa, alles ok?"
Damit nahm er den Rechten in Polen das Stichwort zur Europawahl vorweg. Denn bisher war der EU-Wahlkampf in Polen nur ein Vorspiel zur Parlamentswahl im Herbst 2015. Die Verteidigung der polnischen Sicherheit stand angesichts der Ukraine-Krise im Vordergrund. Im Vordergrund stand auch Premier Donald Tusk von der konservativ-liberalen Bürgerplattform und die Chefs der Oppositionsparteien.
Darum verwundert es nicht, dass 69 Prozent der Polen keinen der 1280 EU-Kandidaten kennen. Doch Jaroslaw Kaczynski, dessen nationalkonservative Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) in den Umfragen zur Europawahl mit 27 Prozent führt, hat nun eine neue Vorlage für die EU-Politik "Europa ist auf dem Weg in den Zerfall". So seine Deutung des Erfolgs der Bärtigen.
Auch der Boxer Tomasz Adamek, einst Weltmeister im Schwergewicht, der für die rechte Konkurrenzpartei "Solidarisches Polen" antritt, erklärte auf einer Pressekonferenz, dass er einen Protestbrief an die Europäische Rundfunkunion geschrieben habe, die helfen sollte, einen solchen Auftritt zu unterbinden, der den europäischen Normen und Werten zuwiderlaufe.
Auch in der beliebtesten Talkshow des Landes "Tomasz Lis Life" ging es um die Wurst und ein lesbisches Pärchen, das angeblich Polen in Richtung Großbritannien verlassen musste, um dort ihren Lebensstil führen zu können. Die Debatte um die Grenzen der Liberalität wird an der Weichsel schon lange geführt.
Seit 2011 ist mit Anna Grodzka in Polen eine Transsexuelle in den Sejm gewählt worden. Sie ist Mitglied der Partei "Deine Bewegung", die ganz gezielt das traditionelle klerikale Polen herausfordert. Immerhin über zehn Prozent der Wähler unterstützen dies.
Die Transformation der Conchita Wurst
Noch vor nicht allzu langer Zeit war die Türkei sehr stolz auf ihre Teilnahme am Eurovisions Song Contest (ESC): Im Jahr 2003 gewann das Land den Wettbewerb, danach folgten gute Platzierungen. Doch seit 2012 nimmt die Türkei nicht mehr am ESC teil – offiziell aus Protest gegen das Wertungssystem beim Wettbewerb, tatsächlich aber eher wegen Sorgen um Sitte und Anstand.
Auftritte voller sexueller Anspielungen, leichter Bekleidung sowie die Triumphe von homosexuellen Künstlern hatten die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und den Staatssender TRT verärgert. Solche Bilder wollte man dem türkischen Publikum wohl nicht mehr zumuten. Der Sieg von Conchita Wurst hat nun das Feindbild zementiert. "Gut, dass wir da nicht mehr mitmachen", kommentierte Volkan Bozkir, immerhin Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im türkischen Parlament.
So wie Bozkir denken viele Anhänger der Erdogan-Partei AKP. Regierungsnahe Zeitungen zeigten sich empört über den Ausgang des ESC von Kopenhagen. Auf Twitter erhielt der Politiker viel Zuspruch für seine Kritik an dem Erfolg für Wurst.
Dennoch steht für Beobachter fest: Der Erfolg der bärtigen Diva in Kopenhagen habe das Fernbleiben der Türkei und den Boykott durch den Staatssender endgültig besiegelt. "Stellen Sie sich mal vor: Bei einer Teilnahme der Türkei am Wettbewerb hätten der Auftritt der ,bärtigen Dame‘ ausgestrahlt werden müssen", schrieb der Kolumnist Cengiz Semercioglu in der Zeitung Hürriyet nach der Show vom Samstag: "Für uns ist die Eurovision ein für allemal erledigt."
(Von Hans Jungbluth, Istanbul)
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