Javier Milei liebt den Überraschungseffekt. Deswegen kündigt der streitbare 52-jährige Ökonom seine Wahlkampfauftritte in den armen Vierteln von Buenos Aires nicht an, sondern fährt einfach hin. Dort, wo die Not am größten ist, in einem Land mit 40 Prozent Armutsrate, einer Inflation von über 100 Prozent und einer nie endenden Wirtschaftskrise. In Viertel, in denen das Geld trotz harter Arbeit nicht reicht, die Familie durchzubringen.
„Die Kaste hat Angst vor uns“, ruft er dann den überraschten Menschen zu. Die Kaste, das ist für Milei die herrschende politische Klasse. Schnell bilden sich Menschentrauben, es kommt zu Tumulten. Vor allem die Jugend jubelt ihm zu. Für sie ist der Mann, der im Fernsehen und bei ihnen auf der Straße gegen die Eliten wettert, ein Hoffnungsträger.
➤ Mehr lesen: Leben in Argentinien: Der Alltag mit 108 Prozent Inflation
Seit seinem Sieg bei den Vorwahlen in Argentinien wird Javier Milei auch international wahrgenommen. Er wird mal als Rechtsextremer, Ultra-Rechter, Exzentriker, Marktradikaler, Rechtsliberaler bezeichnet. Er selbst sieht sich als „Anarcho-Kapitalist“. Das zeigt, wie schwer der Mann einzuordnen ist, der mit Tabus spielt, Provokationen liebt und so immer neue Schlagzeilen generiert.
Milei macht vielen Menschen auch Angst. Auf seine aggressiven Reden als Talkshow-Gast im Fernsehen angesprochen, sagt er im Gespräch mit dem KURIER: „Wenn ich beleidigt oder angegriffen werde, dann verteidige ich mich.“ Allerdings beleidigt Milei auch ohne angriffen zu werden.
Wutausbrüche
Es sind diese Wutausbrüche gegen die dominierenden politischen Kräfte, den linksgerichteten Peronismus und den rechtsgerichteten Konservatismus, die ihn populär gemacht haben. Beide Lager werden von der Bevölkerung für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht, in der sich das Land befindet. Milei ist zu ihrem Chefkritiker aufgestiegen und unbelastet von dieser Vergangenheit.
Er selbst sieht sich in der Reihe der Jair Bolsonaros und Donald Trumps: „Unsere Gemeinsamkeit ist, dass wir den Sozialismus als Feind der Menschheit identifizieren.“
Anders als die beiden Rechtspopulisten aus Brasilien und den USA ist der Wirtschaftswissenschaftler Milei allerdings in der Lage, aus dem Stand einen analytischen Vortrag über die Wirtschaftskrise in Argentinien zu halten. Milei greift die an, die oben stehen.
➤ Mehr lesen: Die hohe Inflation als Dauerbegleiter in der Geschichte Argentiniens
Attacken gegen Papst
Auch seinen Landsmann Papst Franziskus. Als der Argentinier auf dem Kirchenthron die Unternehmensbesteuerung lobte, schrieb Milei auf Twitter: „Dein Modell ist die Armut.“ Wieder eine sichere Schlagzeile.
„Papst Franziskus ist im Grunde ein Gegner des Privateigentums“, erklärt Milei seine kritische Haltung. „Wenn man die Rolle des Eigentums infrage stellt, führt das nur dazu, dass man in Armut versinkt.“ Staat und Politik bestehlen die Menschen durch die Besteuerung.
In einer anderen Frage überrascht der ehemalige Tantra-Lehrer für freie Liebe: „Das Leben beginnt im Moment der Empfängnis und endet mit dem Tod, jede Unterbrechung dazwischen ist Mord. Ich bin nicht für Mord, Abtreibung ist Mord.“
Der Mann mit Lederjacke, Wuschelfrisur, signifikanten Koteletten und der Attitüde eines Rockstars spricht sich für eine totale Deregulierung des Marktes aus. Den argentinischen Peso will er durch den Dollar ersetzen. Dann, so Milei, brauche es auch die Zentralbank nicht mehr. Er wirbt für das Recht auf privaten Waffenbesitz. Und er zweifelt an der Existenz des menschengemachten Klimawandels, glaubt vielmehr an natürliche Temperaturzyklen.
Stichwahl im November
Die Milei-Partei „La Libertad Avanza“ holte bei den Vorwahlen 30,6 Prozent der Stimmen. Ob aus der Wut über „die da oben“ auch die Bereitschaft wird, Milei tatsächlich die Verantwortung über das Land in die Hände zu legen, ist eine andere Frage. Den eigentlichen Präsidentschaftswahlen am 22. Oktober folgt wahrscheinlich eine Stichwahl am 19. November. Dort könnte der libertäre Populist dann entweder auf die konservative Hardlinerin Patricia Bullrich oder auf den Vertreter des linksperonistischen Lagers um Sergio Massa treffen.
Kommentare