Ägypten: Taktische Pensionierung

Eine Menschenmenge demonstriert mit erhobenen Händen und einer ägyptischen Flagge im nächtlichen Kairo.
Die Öffentlichkeit reagiert positiv auf die Absetzung von Feldmarschall Tantawi und seinem Generalstabchef Anan.

Jubel herrschte in der Nacht zum Montag auf dem Kairoer Tahrir-Platz: Denn Mohammed Hussein Tantawi war für viele Ägypter das Gesicht des alten Regimes, das ihrer Meinung nach noch immer die Fäden zog. Er wurde „Mubaraks Schoßhündchen" genannt. Jetzt spielt der Feldmarschall in Ägypten keine politische Rolle mehr. Und das will gefeiert werden.

Nachdem der Wechsel in der Militärführung bekannt geworden war, strömten Tausende auf die Straße. Tantawi war von Präsident Mohamed Mursi als Armeekommandeur und Verteidigungsminister mit knapp 77 Jahren in Pension geschickt worden, Generalstabchef Sami Anan ebenfalls. Zwei Überbleibsel des alten Mubarak-Regimes sind damit weg. Darüber freuten sich vor allem Mitglieder der Protestbewegung vom Februar 2011.

Mutiger Schritt

Ein Mann mit Brille spricht vor einem Hintergrund mit arabischer Kalligrafie.

Zusätzlich zu den personellen Veränderungen an der Armeespitze hat der Präsident die Verfassungsdeklaration der Armee außer Kraft gesetzt, die seit Juni seine Macht eingeschränkt hatte. Ein mutiger Schritt, mit dem er seine Stellung festigt. Mursi kann jetzt Gesetze erlassen und den Staatshaushalt festlegen. Diese Befugnisse lagen zuletzt beim Militär, das seine Macht nur zögerlich an den Präsidenten abgeben wollte.

Die Entwicklung wird in Ägypten weitgehend positiv gesehen. Immerhin ist Mursi der demokratisch gewählte Präsident und damit durch die Hand des Volkes an die Spitze des Staates gekommen. Auch der ehemalige Chef der Atomenergiebehörde Mohammed ElBaradei sprach am Montag von einem „Schritt in die richtige Richtung". Die Protestbewegung und vor allem die jungen Ägypter verzeichneten die Absetzung von Tantawi und Anan als Erfolg. Ahmed Maher von der Jugendbewegung 6. April twitterte: „Ich denke, genau das wollten wir. Seine Entscheidungen verdienen unsere Unterstützung." Andere blieben skeptisch: „Das Auto steuert in die richtige Richtung, ich vertraue aber dem Fahrer nicht", twitterte eine junge Ägypterin. Kritik kam vor allem aus Juristenkreisen, die Mursi das Recht absprachen, eigenmächtig die Verfassung zu verändern.

Abgesprochen

Aus Armee- und Regierungskreisen wurde suggeriert, dass die Entscheidung abgesprochen war. Ob Tantawi selbst von seiner Absetzung gewusst hatte, blieb aber offen. Er meldete sich zunächst nicht zu Wort, erhielt am Sonntagabend vom Präsidenten den höchsten Orden des Staates.

Neuer Verteidigungsminister wurde der ehemalige Chef des Militärgeheimdienstes, Abdel Fattah al-Sisi, der spätestens durch seine Rechtfertigung der umstrittenen Jungfräulichkeitstests bei weiblichen Demonstranten im Westen bekannt wurde.

Mursi sprach sich am Montag für den Fahrplan zum demokratischen Übergang aus. Derzeit wird eine Verfassung ausgearbeitet, die durch ein Referendum angenommen werden soll. Danach soll ein Parlament gewählt werden.

Mursi hatte am Wochenende die Gunst der Stunde genutzt, um die Rochade durchzuführen – gestärkt durch sein entschlossenes Auftreten auf dem Sinai. Dort hatten Islamisten 16 Grenzsoldaten getötet – für die Armee ein peinlicher Zwischenfall. Mursi konnte durch seine schnelle Antwort punkten: Er startete bereits am Folgetag eine Offensive. Die Gewalt geht dennoch weiter. In den vergangenen Tagen gab es mehrere Anschläge. Am Montag wurden trotz verstärkter Militärpräsenz ein Stammesführer und dessen Sohn getötet.

Von der Marionette zum mächtigen Präsidenten

Der ehemalige ägyptische Präsident Mohammed Mursi mit zwei Militärangehörigen.

Mohammed Mursi war bisher nicht der Inbegriff des „starken Mannes", den sich viele Ägypter nach dem Chaos der letzten zwei Jahre wünschten. Er gilt als bodenständig, spricht laut und deutlich – doch Charisma verleiht ihm das noch nicht. Wenn er lächelt, dann mit einem Mundwinkel. Das wirkt unsicher.

Er galt als Marionette des Militärrats, doch Mursi hat es geschafft, viele Menschen eines Besseren zu belehren. Er hat am Wochenende die Übergangsverfassung geändert und so vorübergehend die gesamte Gewalt der Legislative an sich gezogen.

Experten wie Stephan Roll halten ihn für einen Politikprofi, der schon lange im Geschäft ist. „Ich denke, er hat es geschickt verstanden, sich bei wichtigen Fragen schnell zu positionieren", sagt Roll. Etwa in der Sicherheitsfrage auf dem Sinai oder bei der Regierungsbildung sowie beim Wechsel im Militärrat. „Ich denke, er hat durch diese Entscheidungen durchaus gewonnen und sollte nicht unterschätzt werden."

 

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