Ägypten: Die Angst will keiner zugeben
Ich weiß von einigen Leuten, die sich Pistolen angeschafft haben, um ihre Häuser zu schützen“, erzählt Kristin, die in Kairo mit einem Ägypter verheiratet ist. Das sei für sie neu. Seit dem Sturz Hosni Mubaraks im Februar 2011 hat sich die Sicherheitslage verschlechtert. „Als Frau sollte man Kampfsport können“, rät die 30-jährige Deutsche. „Man sollte lieber mit einem Mann rausgehen, sich nichts gefallen lassen und sich darauf einstellen, dass wir hier nicht in Europa sind.“
Kristin geht auch abends raus. „Ich kann mich ja nicht einsperren.“ Ein mulmiges Gefühl hat sie dabei schon.
Angst hat Kurt Altmann nicht, wenn er auf die Straße geht. „Ich bin schon so lang in der Gegend, das hilft!“ Der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Kairo lebt mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern im südöstlichen Stadtteil Maadi. Das Leben hat sich seit 2011 sehr verändert, erzählt er dem KURIER. Alleine mit dem Auto fährt Altmann nur in Einzelfällen, er hat einen lokalen Fahrer. Aber das habe nicht nur sicherheitstechnische, sondern auch logistische Gründe. „Der Fahrer kennt sich besser aus. Ich finde vielleicht Orte in der riesigen Stadt nicht, oder Umwege. Und das Auto muss man erst einmal parken.“

Aber nicht nur die Sicherheitslage habe sich verändert. Seit Jahresanfang ist es zu erheblichen Stromausfällen gekommen. „Selbst in meiner – nicht so schlechten – Gegend ist der Strom bis zu drei Mal täglich eine Stunde ausgefallen. Bei 40°C im Schatten ist ein nicht funktionierender Tiefkühler kein Spaß.“ Im Haus hat er Notleuchten installiert. „Das ist etwas, das ich in der langen Zeit hier noch nicht erlebt habe.“ Seit dem Coup, der die Amtszeit von Präsident Mursi vor elf Tagen beendet hat, wurden die Stromausfälle aber deutlich weniger. „Ich hoffe, das bleibt so“, sagt Altmann.
Realitätsverweigerung
„Coup“ ist so ein Wort, mit dem Kristin vorsichtig umgeht. Viele Menschen im Umfeld der Deutschen weigern sich, von einem Militärcoup zu sprechen. „Man wird richtig schief angekuckt, wenn man sie darauf anspricht“. Sie wollen wohl, dass „alles gut wird“, mutmaßt die 30-Jährige. Und ihre liberalen ägyptischen Freunde wollen oft einfach nicht sehen, dass die Realität anders ist als ihr Wunsch. „Wenn sie zugeben, dass sie Angst haben, dass sie sich unwohl fühlen, dann würden sie damit zugeben, dass die Revolution erneut irgendwie gescheitert ist.“
Auch die junge Ägypterin Alia ist verwirrt. Sie hat bei den Demos gegen Hosni Mubarak mitgemacht, in ihrer Freizeit seitdem viel politisiert, sich für ein liberales Ägypten eingesetzt. Doch jetzt hält sie sich in Gesprächen und auf Facebook mit politischen Kommentaren zurück. Seit der Machtübernahme der Armee ist ihre Familie zerstritten. Bis in ihr Haus geht der Streit darüber, ob sein Sturz legitim war oder nicht. „Das tut weh“, sagt sie. Und: „Wie konnte es nur so weit kommen?“

Die Geschäfte sind geöffnet, nur in den Gegenden der Demos bleiben einzelne Shops zu. Manche schließen früher, um ihren Mitarbeitern eine sichere Heimfahrt zu gewähren. Bei den Staus in Kairo kann man oft nicht sagen ob man eine oder zwei Stunden nach Hause braucht. Doch die Staus – an die Ägypter prinzipiell gewöhnt sind – wurden in den letzten Tagen wieder weniger. Auch deshalb, weil die langen Schlangen an den Tankstellen weg sind.
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