80 Jahre Warschauer-Ghetto-Aufstand: Wenn Ärchäologie weitererzählt

Eine Sammlung bunter Knöpfe, Kachel- und Tellerscherben, verkohlte Gebetsriemen, ein angebrannter Kinderschuh. Die Ausstellungsstücke der Galerie Kordega im Zentrum der polnischen Hauptstadt Warschau sind Zeugnisse von Alltag und Vernichtung zugleich.
Es handelt sich um Funde aus dem Gelände des ehemaligen Warschauer Ghettos. Die Exponate wurden 2021 und 2022 ausgegraben, sie sind nur ein Teil der Sammlung. „Wir haben 5.000 Artefakte gefunden“, sagt Jacek Konik, der leitende Archäologe des Warschauer Ghetto Museums, das seine Türen erst in zwei bis drei Jahren öffnen wird. Die aktuelle Ausstellung in der Galerie ist eine vorläufige.
Denn ihrem Thema wird am Mittwoch internationale Aufmerksamkeit zuteil – wenn sich der Aufstand der jüdischen Bewohner in dem eingemauerten Viertel zum achtzigsten Mal jährt. Dieser Anlass führt auch den deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier und seinen israelischen Amtskollegen Isaac Herzog nach Warschau, erstmals werden sie zusammen mit dem polnischen Staatsoberhaupt Andrzej Duda auftreten.
Blutiger Aufstand
Die Deutschen waren es, die das „Ghetto“ 1943 räumen und die Menschen in das Vernichtungslager Treblinka deportieren wollten. Doch rund 800 der insgesamt 40.000 Bewohner leisteten Widerstand, hielten SS, Wehrmacht und Polizei wochenlang hin. Am Ende war das Viertel niedergebombt, und nur wenige konnten fliehen, die meisten kamen während der Kämpfe um oder wurden danach getötet.
Letzte Bastion des Widerstandes war ein weiträumiger Bunker, heute benannt nach Mordechaj Anielewicz, dem Chef der „Jüdischen Kampforganisation“ – eine Befestigung, die 500 Menschen Schutz bot. Die meisten der Kämpfer begangen Suizid oder wurden vergast. Ein Hügel mit einem Gedenkstein erinnert heute an sie.

Jüdischer Friedhof in Warschau
Gleich daneben fanden die Grabungen statt, die der Öffentlichkeit nun präsentiert werden. Den Anstoß gab 2019 Richard Freund, ein Archäologie-Professor aus den USA. Daraufhin wurden drei Orte im ehemaligen Warschauer Ghetto mit „nicht invasiven Methoden“ – etwa Radar – untersucht.
Betroffene tauchten auf
Aber ist es nun so, dass die Ära der Zeitzeugen zu Ende geht, und die Archäologie zu erzählen beginnt? „Gewisserweise“, meint Archäologe Jacek Konik. „Die Ausgrabungen führten jedoch auch dazu, dass einige der Betroffenen auftauchten.“ Ein alter Herr – er war als kleines Kind im „Ghetto“ – habe die Stelle gezeigt, wo seine Angehörigen gestorben sind.

Archäologe Konik erzählte dem KURIER von den Ausgrabungen und zu welch emotionalen Begegnungen sie führten.
Da die archäologische Arbeit in Warschau vor allem in Israel auf starke Resonanz gestoßen war, kamen auch von dort Angehörige zu den Grabungen. Das Gelände war nicht abgesperrt, sodass sich viele emotionale Gespräche mit Archäologen und Freiwilligen aus aller Welt ergaben. Deutsche seien nicht dabei gewesen, „obwohl wir das sehr begrüßt hätten“, sagt Konik.
Gleiche Kultur und Umwelt
Auch außerhalb des einstigen Ghettos wurde gegraben, im Stadtviertel Ochota. Die Artefakte würden einander sehr ähneln. „Weil die einfach in derselben Kultur bzw. Umwelt lebten“, betont der Historiker. Ausnahmen bildeten Gegenstände mit religiöser Bedeutung wie Gebetsriemen und Handwaschbecher zur rituellen Reinigung.
„Die Geschichte dieser Menschen sollte ausgelöscht werden, doch die Ausstellung erzählt sie weiter“, sagt Jacek Konik.
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