278 Milliarden: Athen beziffert deutsche Schuld

Erstmals gibt es eine konkrete Zahl im Streit um Reparation.

Im Streit um deutsche Reparationszahlungen für erlittene Schäden im Zweiten Weltkrieg hat der stellvertretende griechische Finanzminister Dimitris Mardas die Forderungen seines Landes auf 278,7 Milliarden Euro beziffert. Ein zuständiger Parlamentsausschuss komme nach einer ersten Auswertung auf diese Summe, teilte er am Montag mit.

Zu den Reparationsforderungen gibt es bereits eine umfangreiche griechische Studie. Auf deren Grundlage prüfen der Parlamentsausschuss und der Oberste Gerichtshof des Landes zurzeit, wie mögliche Reparationsforderungen an Deutschland erhoben werden können. Die Gesamtforderungen werden darin auf zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Die Bundesregierung sieht die Entschädigungsfrage dagegen als erledigt an. Ein 1960 von der damaligen Bundesregierung abgeschlossenes Abkommen sah die Zahlung von 115 Millionen Mark vor. Das Thema belastet die deutsch-griechischen Beziehungen seit Jahrzehnten.

Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat die Forderung am Dienstag zurückgewiesen. "Ich finde es ehrlich gesagt dumm", sagte Gabriel am Dienstag mit Blick auf eine Vermengung der Wiedergutmachungsforderungen mit den Verhandlungen über weitere Finanzhilfen. Beide Dinge hätten nichts miteinander zu tun, seien aber sehr aufgeladen, sagte der deutsche Vizekanzler. Das bringe die Stabilisierung Griechenlands "keinen Millimeter voran. Zugleich gebe es natürlich die moralische Verantwortung, sagte Gabriel. Es dürfe keinen Schlussstrich geben.

U-Ausschuss in Athen

Auch im Schuldenstreit stehen die Räder in der Zwischenzeit nicht still: Ein Untersuchungsausschuss des griechischen Parlaments soll herausfinden, wer für die Schuldenkrise des Landes politische verantwortlich ist. Laut Premier Alexis Tsipras soll "Licht" auf die Ereignisse von 2009 bis heute geworfen werden; die Griechen müssten erfahren, "wie das Land Maßnahmen akzeptieren konnte, die die Schulden haben steigen lassen, von 124 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu Beginn der Krise auf 175 Prozent heute". Ungeachtet des internationalen Drucks will Tsipras die Sparpolitik seines Landes in den vergangenen Jahren auf den Prüfstand stellen. Im Zuge der Sparmaßnahmen seien auch die Löhne gesunken, die Arbeitslosigkeit gestiegen und es gebe einen Exodus junger qualifizierter Arbeitskräfte. Tsipras liebäugelt zu Missfallen der europäischen Institutionen auch mit Hilfen aus Moskau.

Zahlung steht bevor

Die Einsetzung des Ausschusses gehörte zu den Wahlversprechen von Tsipras. Das Gremium besteht aus Wissenschaftlern und Juristen und soll rekonstruieren, wie es zu dem Schuldenanstieg und den Sparmaßnahmen kam, die ab 2010 im Gegenzug zu Finanzhilfen der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) beschlossen worden waren.

Griechenland verhandelt derzeit mit der EU über weitere Finanzhilfen. Weil Athen die Forderung der Euroländer nach konkreten und belastbaren Reformen und Sparmaßnahmen bisher nicht erfüllt hat, halten diese weitere Notkredite zurück. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat in Washington zugesagt, sein Land werde alle im Gegenzug für gewährte Finanzhilfen eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Nach einem Treffen mit der IWF-Chefin Christine Lagarde versicherte er zudem, Griechenland sei zu weitreichenden Reformen bereit und werde am Donnerstag wie vorgesehen eine Kreditrate in Höhe von 460 Millionen Euro begleichen. Die Befürchtung, Athen könne diese Rate nicht bezahlen, hatte die Sorge vor der Pleite Griechenlands und damit einhergehenden unkalkulierbaren Folgen für die Griechen und die Eurozone beflügelt.

Pleite ab Mai

Derzeit ringen Gläubiger und die neue, von der Linkspartei Syriza geführte Regierung in Athen um die Auszahlung der letzten Kreditrate des auslaufenden Hilfsprogramms in Höhe von 7,2 Milliarden Euro. Die Geldgeber, IWF, EU und Europäische Zentralbank (EZB) haben die Vorlage eines tragfähigen Reformkonzepts zur Voraussetzung für die Zahlung erklärt. Griechenland droht bereits in wenigen Tagen die Zahlungsunfähigkeit, sollte es keine weiteren Finanzhilfen erhalten. Das Land ist seit 2010 mit Finanzspritzen seiner internationalen Partner von rund 240 Milliarden Euro vor der Staatspleite bewahrt worden.

Der griechische Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis bestätigte am Montagabend, dass seinem Land ohne neues Geld ab Mai die Pleite droht. "Das ist mehr oder weniger korrekt", antwortete Stathakis auf eine entsprechende Frage im Interview mit der "ZiB". Daher bräuchte es rasch ein Abkommen mit den europäischen Partnern über eine Verlängerung des Hilfsprogrammes. Varoufakis hatte gegenüber der griechischen Zeitung "Naftemporiki" am Montag erklärt, er strebe beim Eurogruppen-Treffen am 24. April eine Einigung mit den internationalen Geldgebern an.

Griechische Politiker fordern immer wieder Geld von Deutschland wegen des Zweiten Weltkriegs. Dabei geht es um Entschädigungen für Kriegsverbrechen und -schäden sowie um die Tilgung von Ansprüchen aus einer Zwangsanleihe. Berlin hält alles für abgegolten.

ZWANGSANLEIHE: 1942 musste die Bank von Griechenland der Deutschen Reichsbank einen Kredit über damals 476 Millionen Reichsmark gewähren, nach Kriegsende sollte er zurückgezahlt werden.

RÜCKZAHLUNG: 1953 verschob das Londoner Schuldenabkommen die Regelung deutscher Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines "förmlichen Friedensvertrages". Das Londoner Moratorium wurde 1990 durch den "Zwei-plus-Vier-Vertrag" gegenstandslos. Die Staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) - darunter Griechenland - stimmten 1990 der "Charta von Paris" für eine neue friedliche Ordnung in Europa zu.

ANSPRÜCHE: Nach Auffassung Berlins ergibt sich aus der Zustimmung zur "abschließenden Regelung in Bezug auf Deutschland" in der Charta, dass die Reparationsfrage nicht mehr geregelt werden sollte. In Athen wird dagegen argumentiert, die Entschädigungsfrage sei ungeklärt, denn die Unterzeichner hätten den Vertrag nur zur Kenntnis genommen.

ENTSCHÄDIGUNG FÜR KRIEGSVERBRECHEN: 2003 wies der Bundesgerichtshof (BGH) Forderungen wegen eines SS-Massakers in Distomo von 1944 ab. Ansprüche der Hinterbliebenen ließen sich weder aus dem Völkerrecht noch aus deutschem Amtshaftungsrecht ableiten. 2006 bestätigte das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung und nahm eine Klage von vier Griechen nicht zur Entscheidung an.

GRIECHISCHE RECHTSAUFFASSUNG: Ein griechisches Gericht sprach 1997 Nachkommen der Opfer knapp 29 Millionen Euro zu. Laut BGH verstößt das Urteil aber gegen den Völkerrechtsgrundsatz der Staatenimmunität. Danach darf ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen. Diesen Grundsatz hatten 2002 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und - in einem ähnlichen Fall - das Oberste Sondergericht Griechenlands bestätigt. Damit habe das griechische Urteil in Deutschland keine Rechtskraft, befand der BGH.

GRIECHISCHE BERECHNUNGEN: In den vergangenen zwei Jahren haben Experten des griechischen Finanzministeriums und der Zentralbank in Athen die Höhe der Reparationen aus griechischer Sicht berechnet. In einer Studie, die die griechische Sonntagszeitung "To Vima" im März veröffentlicht hatte, wurden die Gesamtforderungen auf zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas nannte am 6. April in einer Rede vor dem Parlament nach einer ersten Auswertung des zuständigen Parlamentsausschusses eine Summe von 278,7 Milliarden Euro.

GEZAHLT - GEFORDERT: Deutschland vereinbarte zur Wiedergutmachung für NS-Unrecht Ende der 1950er Jahre Entschädigungsabkommen mit zwölf Ländern. Athen bekam 1960 Reparationen in Höhe von 115 Millionen D-Mark. Bereits in diesem Vertrag ist laut der deutschen Regierung festgehalten, dass die Wiedergutmachung abschließend geregelt sei. Doch verlangten griechische Politiker weiterhin Reparationen. 2014 wurde die Forderung nach Entschädigungen auch beim Athen-Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck laut. Die Regierung in Berlin wies die Ansprüche zurück. Athens Forderungen seien geregelt, heißt es bis heute.

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