Das rote Wien in Venedig

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Im Österreich-Pavillon zeigt sich bei der Architekturbiennale eine brave Programmatik. Ein Gastkommentar von Gernot Blümel.

Venedig in Wien“ war bekanntlich eine Illusionenlandschaft, die ab 1895 mit Nachbildungen venezianischer Bauten und Kanäle für Amüsement und Unterhaltung in Wien sogte. Genau 130 Jahre später ist Wien in Venedig zu Gast – genauer: im österreichischen Pavillon der Architekturbiennale, die sich heuer unter dem Titel „Intelligens. Natural. Artificial. Collective.“ mit unterschiedlichen Typen von Intelligenz beschäftigt, um unsere gebaute Umwelt neu zu denken, anzupassen und fit für die Zukunft machen. Mehr als 300 Beträge von über 750 Teilnehmern, darunter Architekten, Ingenieure, Wissenschaftler, Philosophen und Künstler beschäftigen sich mit Lösungen für die Zukunft.

ÖVP - WIEN-REDE: BLÜMEL

Gernot Blümel

Der österreichische Pavillon, kuratiert von Michael Obrist, Sabine Pollak und Lorenzo Romito, stellt im Vergleich der beiden Städte Wien und Rom die Frage, wie „Better Living“ gelingen kann. Und kommt unter kräftigem medialem Spin der Wiener Stadtpolitik zum Schluss, dass die Zukunft in der Wiener Vergangenheit des „Roten Wien“ liegt. „Wir zeigen, dass leistbares und qualitätsvolles Wohnen möglich ist, wenn der politische Wille da ist“, so Wiens SPÖ-Chef und Bürgermeister Michael Ludwig, der samt Team extra zur Eröffnung angereist war (und dank SPÖ-Wahlplakat im Video des Österreich-Pavillons dort auch täglich bis Ende November zu sehen ist). Dass Wien die Antwort auf Kapitalismus, Spekulation, Luxusapartments, unbewohnbare Städte, AirBnB und alle anderen Übel unserer Zeit ist, bestätigte auch die für eine Biennale bemerkenswert brave Programmatik des Kuratoren-Teams: „In Wien ist alles anders. Wien wächst seit Jahren rasant, und dennoch ist es hier leistbar geblieben. Seit dem Roten Wien setzt die Stadt Instrumente gegen Bodenspekulation ein und produziert leistbare Wohnungen. In den 1920er-Jahren legte die Stadtverwaltung ein gigantisches Grundstücksreservoir für ein Wohnbauprogramm an, von dem die Stadt bis heute profitiert.“

Dass die rote Stadtregierung das Bevölkerungswachstum der Stadt die längste Zeit möglicherweise auch verschlafen hat, dass „soziale Bedürftigkeit“ im Gemeindebau nicht laufend überprüft wurde, dass auch gedeckelte Altbaumieten und vererbbare Niedrig-Mieten ein wichtiger Faktor für leistbaren Wohnraum sind, dass „Superblocks“ oft zu sozialen Brennpunkten der Sonderklasse zählen, dass Wien ein einzigartige niedrige Wohnungseigentümerquote hat und aus mutmaßlich ideologischen Gründen behalten will, dass das Eintrittsticket in den Gemeindebau die längste Zeit ein rotes Parteibuch war, wie zumindest in manchen Kreisen behauptet wird – das und vieles andere ist bei „Better Living“ in Österreich kein Thema. Und so stellt sich zwischen kuratorischer Affirmation und politischer Illusion der Befund ein, den ein der SPÖ nahestehender Architekt bei den Eröffnungstagen mit den leise gesprochenen Worten „Das ist doch ein bisschen viel Propaganda…“ auf den Punkt brachte.

Hält man sich vor Augen, dass diese Ausstellung von April bis in den November hinein zu sehen ist und damit perfekt ins Vorfeld des regulären Wien Wahl Termins gepasst hätte, muss wohl ein Schelm sein, wer denkt, dass hier Kulturpolitik in den Dienst einer Partei gestellt wird.

Zum Autor:

Gernot Blümel war Finanzminister in der Regierung Kurz II, davor Kulturminister in der Regierung Kurz I; heute leitet er den Aufbau des Mare Techoparks für KI in der digitalen Medizin in Venedig.

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