"Gegen Schläfrigkeit hilft kein Kaffee oder Energydrink"

Gerhard Klösch
Immer wieder kommt es zu schweren Verkehrsunfällen, weil Lenker am Steuer plötzlich einschlafen - oft ohne es selbst zu bemerken. Schlafforscher Gerhard Klösch erklärt warum.

Zusammenfassung

  • Sekundenschlaf ist gefährlich und tritt bei Schlafmangel und monotonen Situationen auf.
  • Kaffee und Energy-Drinks maskieren Schläfrigkeit nur kurzfristig und bieten keine dauerhafte Lösung.
  • Beeinträchtigungen durch Übermüdung erkennt man an plötzlichen Lenkbewegungen und Konzentrationsverlust.

KURIER: Immer wieder liest man von Unfällen aufgrund von „Sekundenschlaf am Steuer“ mit schlimmen Folgen. Was versteht man überhaupt darunter? Warum ist er so gefährlich?
Gerhard Klösch: Sekundenschlaf ist die Folge von Schläfrigkeit oder hohem Schlafdruck. Der entsteht, wenn man etwa mehr als 14 Stunden wach ist. Sekundenschlafphänomene treten vor allem in monotonen und reizarmen Situationen auf und können auch bei Personen mit Schlafproblemen häufiger auftreten. Der Grund: Aufgrund einer Schlafstörung, etwa Atemaussetzern im Schlaf oder fragmentiertem Schlaf, also häufigem Aufwachen, ist der Schlaf oberflächlich und es zeigt sich zu wenig Tiefschlaf. Tiefschlaf ist aber notwendig, um Schlafdruck abzubauen und sich im Schlaf körperlich zu erholen.

Was sind die Gründe für den Sekundenschlaf am Steuer?
Hoher Schlafdruck, gestörter oder zu kurzer Nachtschlaf, lange Wachzeiten oder zu lange Fahretappen. Wünschenswert sind kurze Pausen nach etwa zwei Stunden Fahrzeit.

Was kann man tun, wenn man am Steuer ein Müdigkeitsgefühl spürt, das vollkommen übermannt – man aber dennoch die letzten Kilometer schaffen muss?
Die Unfallstatistik zeigt, dass die meisten Unfälle durch Sekundenschlaf auf den letzten Kilometern vor dem Ziel passieren. Warum? Einerseits führt die trügerische Sicherheit, dass jemand die Strecke ja ‚wie im Schlaf‘ kennt, dazu, dass die Aufmerksamkeit nachlässt, andererseits kann die Vorstellung, bald zu Hause zu sein, dazu führen, dass die (An)Spannung nachlässt, wodurch ein Einschlafen gefördert wird.

Warum schätzt man sich falsch ein und denkt – das geht?
Schläfrigkeit und Müdigkeit am Steuer kommen relativ häufig vor, wenn auch schläfrigkeitsbedingte Unfälle sehr selten sind. Das ist mit einer der Gründe, warum viele Autolenker meinen, es wird schon nichts passieren. Darüber hinaus verlassen sich immer mehr Lenker auf Fahrerassistenzsysteme, insbesondere auf die Zuverlässigkeit von Alertness-Systemen. Aber die Anzeichen von Übermüdung oder Schläfrigkeit können individuell sehr unterschiedlich ausfallen, sodass technische Lösungen zur Erkennung von Übermüdung mitunter zu früh oder zu spät ansprechen oder gar nicht reagieren.

Was passiert im Körper, wenn man übermüdet ist?
In der Schlafforschung wird streng zwischen Schläfrigkeit und Müdigkeit unterschieden. Wenn wir auch in der Alltagssprache beide Begriffe synonym verwenden, so sind die dahinterliegenden physiologischen Prozesse verschieden. Schläfrigkeit bedeutet: Während der Wachzeit baut sich Schlafdruck auf, der dann dazu führt, dass wir nach 14 bis 16 Stunden einschlafen können. Schlafdruck kann nur im Schlaf abgebaut werden und das passiert im Tiefschlaf, erstes bis zweites Nachtdrittel. Wer gut und ausreichend schläft, wacht erholt und erfrischt auf und – physiologisch gesprochen – konnte im Schlaf erfolgreich Schlafdruck abbauen.

Und wer nicht gut schläft?
Wer nicht gut, zu kurz oder gar nicht schläft, kann im Schlaf keinen oder nur ungenügend „Schlafdruck“ abbauen und nimmt diesen in den nächsten Tag mit. Dieser nicht abgebaute Schlafdruck führt dazu, dass wir bereits nach dem Aufstehen schläfrig sind und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch tatsächlich einschlafen. Gegen Schläfrigkeit hilft kein Kaffee oder Energydrink, sondern ausschließlich Schlaf! Das Gefährliche ist, dass Schläfrigkeit in fordernden Situationen verschwindet und so der Eindruck entsteht, dass jemand trotz Schlafmangel dennoch topfit ist. Unter reizarmen oder „langweiligen“ Bedingungen lässt jedoch die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung schlagartig nach und es kann zu einem plötzlichen Einschlafen kommen, also Sekundenschlaf. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Monotonie-Intoleranz“ als ein charakteristisches Merkmal von Schläfrigkeit.

Und was ist Müdigkeit?
Müdigkeit ist die Folge einer anstrengenden Tätigkeit und selbst wenn die Tätigkeit interessant ist, benötigen wir eine Pause, um uns zu erholen. Hierbei hilft ein Kaffee oder Energy-Drink oder ein Powernap – maximal 30 Minuten –, um danach wieder fit und leistungsfähig zu sein. Müdigkeit führt nicht zum sofortigen oder plötzlichen Einschlafen, wie es bei Schläfrigkeit der Fall ist, und es zeigt sich auch keine Monotonie-Intoleranz. Daher kann Müdigkeit als eine Schwankung der Wachheit verstanden werden und ist nicht die Folge von Schlafmangel in der vorangegangenen Nacht. Mir ist aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass Zeichen von Müdigkeit und Schläfrigkeit wichtige Körpersignale sind, die uns helfen, drohende Gefährdungen rechtzeitig zu erkennen! Wir müssen daher lernen, diese ernst zu nehmen und nicht durch chemische Substanzen oder andere Hilfsmittel zu ‚übertünchen‘ oder auszuschalten.

Wie merkt man selbst, dass man nicht mehr lenken sollte?
Beeinträchtigungen in der Fahrleistung aufgrund von Übermüdung können individuell sehr unterschiedlich sein. Manche werden unruhig, andere wiederum neigen dazu, ‚starr vor sich hinzuschauen‘, bekommen einen Tunnelblick. Generell gilt: Wir besitzen ein gutes Sensorium dafür, bei anderen Personen Übermüdung oder Schläfrigkeit in der Gestik und Mimik zu erkennen. Daher erfüllen BeifahrerInnen eine wichtige Kontrollfunktion und sind ein guter Schutz gegen Übermüdung am Steuer. Auffälligkeiten im Verhalten sind plötzliche, ruckartige und ‚überschießende‘ Lenkbewegungen, häufiges Gähnen und kurze Blackouts in der Wahrnehmung – man weiß nicht, was in den letzten zwei, drei Sekunden war –, man hat Schwierigkeiten, den Kopf gerade zu halten, schwere Augenlider, häufiges Blinzeln. Die Gedanken schweifen ab und es fällt schwer, die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung auf das Fahren zu fokussieren.

Kaffee, Energy-Drinks, laute Musik oder Frischluft – hilft das wirklich, um wach zu bleiben?
Kaffee und Energy-Drinks – diese haben meist einen hohen Koffeinanteil – wirken kurzfristig aktivierend und geben einem das Gefühl, wieder fit oder hellwach zu sein. Dadurch kann es zu einer Fehleinschätzung der Wachheit kommen und Zeichen der Übermüdung können durch die Koffeinwirkung maskiert werden. Studien konnten zeigen, dass laute Musik, Frischluft oder auch Singen keine Wachhaltewirkungen haben.

*Das Interview wurde schriftlich geführt

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