Ennstal-Classic 2019: Artgerechte Altenpflege
Von den bescheidenen Anfängen im 93er-Jahr des vorigen Jahrhunderts mit kümmerlichen 32 Startern bis in die Gegenwart mit über 230 Teilnehmern – die Ennstal-Classic, Österreichs Antwort auf die italienische Mille Miglia, auf das Festival of Speed im englischen Goodwood oder etwa auch auf den Grand Prix de Monaco Historique, braucht keinen Vergleich zu scheuen: National nicht und international schon gar nicht.
Die Ennstal-Classic, Jahr für Jahr Ende Juli ebenso Radnabe der Oldtimer-Szene wie Mega-Event mit hohem Kult- und Promi-Faktor, ist einer der großen Klassiker, die es im Vintage-Motorsport gibt. Es geht um die Länge, um die Schwierigkeiten der insgesamt 25 Sonderprüfungen und um das elitäre Starterfeld, das der Veranstaltung jenen Wert an Glamour verleiht, der die Tour quer durch halb Österreich von anderen Oldtimer-Veranstaltungen abhebt.
Anders gesagt: Es ist das Amalgam aus traumhaft schöner Landschaft, Lifestyle und historischem Motorsport – man muss den Veranstaltern neidlos attestieren, dass es ihnen Jahr für Jahr gelingt, diese Balance tatsächlich auch zu finden. Die Ennstal liefert den diskreten Charme einer Parallelwelt, als gäbe es außer purem Fahrgenuss nicht Relevantes mehr – die Freiheit als Kern des Unterwegsseins. Anderseits: Wüssten Ennstal-Neulinge über all die Strapazen, die vor ihnen liegen, sie hätten Riesen-Angst angesichts der geistig wie körperlich fordernden 850 Kilometer Gesamtlänge, die aus jugendlichen Draufgängern erschöpfte Greise werden lässt, hin- und hergerissen zwischen großem Drama und der kleinen Poesie des jeweiligen Moments. Will doch die Ennstal gleichermaßen erobert wie erlebt sein, sie ist fordernd, gibt aber auch Vieles: Wohlige Süße wegen des Erreichten, frustrierende Bitternis anderseits, wenn aus den anvisierten Platzierungen nichts geworden ist.
Getrübt wird das Fahrerlebnis auf epischen Panoramastraßen allerdings durch die Tatsache, dass auch die Oldy-Szene Opfer allgemeiner Auto-Feindlichkeit geworden ist. In Zeiten des Klimawandels nicht weiter verwunderlich – und doch vollkommen ins Leere gehend. Hat doch, seltsam genug, niemand aus der „Fridays for Future“-Bewegung samt der kindlichen, fremdgesteuerten Weltuntergangs-Ikone an deren Spitze bisher zugegeben, dass weniger Netflix-Filme streamen, weniger YouTube und weniger Instagram auch weniger CO2-Belastung bedeuten würde. Schönlügen kostet bekanntlich nichts, ist aber ebenso gefährlich wie kontraproduktiv, weil die leider zunehmend radikaler gewordene Tonalität in Bezug auf das kollabierende Weltklima hasserfüllt auseinanderdividiert – und einen Keil in die Gesellschaft treibt.
So oder so: Oldtimer und Oldtimer-Rallyes wie die längst legendär gewordene Ennstal-Classic genießen ungeachtet aller Anfeindungen nach wie vor große Beliebtheit – laut der Studie „Oldtimer in Österreich“ sind bei uns rund 258.000 Oldtimer zugelassen, rund 100.000 Personen besitzen mindestens ein historisches Fahrzeug, 1,2 Millionen könnten sich vorstellen, eines in der Garage stehen zu haben. Fast zwei Drittel der Befragten sehen das Alte Blech, dessen durchschnittliche Fahrleistung bei uns jährlich bei vernachlässigbaren 700 Kilometern liegt, als Kulturgut an, das erhalten werden soll. Schön also, dass auch die UNESCO darüber nachdenkt, historischen Automobilen Welterbe-Status zuzubilligen.
Alte Autos wecken Emotionen und Erinnerungen und riechen so, wie Automobile riechen sollten – ergänzt um den Klang der Triebwerke: Das heisere Bellen eins luftgekühlten Vierzylinders, das aufgeregte Stakkato eines Zweitakt-Zweizylinders oder das sonore Brabbeln eines Reihen-Sechszylinders. Und wenn man einmal im Jahr einen Aston Martin, Ferrari oder Porsche hört, hallt der Klang noch lange nach und verdichtet sich im Lauf der folgenden Monate zu einer Erinnerung, die ein Leben lang anhält.
Das gilt auch für das Teilnehmerfeld, das sich aus Rookies, alter Stammkundschaft und erfreulicherweise zunehmend auch aus erstaunlich jungen Leuten zusammensetzt, für die konsequenterweise die Youngster-Trophy etabliert worden ist, die außerdem auch einen fixen Startplatz für die 2020er-Ennstal inkludiert.
Sie alle eint das Bedürfnis, goldene Tage in hinreißend schönen Oldtimern, aufgeladen mit magischer Sinnlichkeit und niemals verjährender Attraktivität zu genießen. Ob jung, alt, Neuling oder Wiederholungstäter: Alle genießen außerdem den Fahrerlebnis-Speicher, prall gefüllt mit der Magie schroffer Bergwelten, üppig grüner Almwiesen und glasklarer Bergseen. Aber auch: Schockstarre beim Studium der Strafzeiten – und der anschließende ebenso sinnlose wie panische Versuch, Realität und subjektive Wahrnehmung wieder in Einklang zu bringen.
Ein Faktum, das Friedrich Radinger/Thomas Wagner auf ihrem 1971er-Mini 1275 GT, dessen Antriebsquelle unter dramatisch fallendem Öldruck laborierte, heuer erspart geblieben ist.
Mit dem mittlerweile drei Gesamtsiegen rangiert das erfolgreiche Duo auf einer Ebene mit Helmut Schramke/Peter Umfahrer (2003/2006/2012) und dicht im Windschatten von Rudolf Schramel, der die Rallye vier Mal gewann, nämlich in den Jahren 2000 und 2001 mit Heinz Schraml sowie 2004 und 2005 mit Helmut Artacker.
Egal ob ganz oben oder tief im Süden der Ergebnisliste: Die Vergangenheit in der Gegenwart zu erleben macht süchtig – ein Großteil der Teilnehmer hat die Zimmer nämlich schon fürs nächste Jahr wieder gebucht.
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