Studien: Touchscreens im Auto sind gefährlicher als Alkohol am Steuer

Ein Fahrer bedient den Touchscreen eines Tesla-Autos.
Touchscreens sollen Autofahren komfortabler machen, doch Studien warnen: Sie verlängern die Reaktionszeit deutlich.

Zusammenfassung

  • Studien zeigen, dass Touchscreens im Auto die Reaktionszeiten der Fahrer deutlich verlängern und gefährlicher sein können als Alkohol am Steuer.
  • Tests und Untersuchungen belegen, dass komplexe Menüs und fehlendes haptisches Feedback zu längerer Ablenkung und erhöhter Unfallgefahr führen.
  • Organisationen und Hersteller reagieren mit strengeren Sicherheitsstandards und technischen Gegenmaßnahmen wie vereinfachten Oberflächen und taktiler Rückmeldung.

Moderne Autos setzten serienmäßig auf große Displays, die herkömmliche Knöpfe (teils vollständig) ersetzen. Menüs sollen Ordnung und Übersicht schaffen, Sprachsteuerung verspricht Erleichterung. Doch mehrere aktuelle Studien zeigen: Was vor Jahren noch als Fortschritt in Sachen Sicherheit und Komfort galt, kann für Fahrer mittlerweile hochriskant sein. Touchscreens im Auto verlängern Bedienzeiten massiv und führen zu gefährlichen Ablenkungen, mitunter so stark wie das Fahren unter Alkoholeinfluss.

Klare Unterschiede

Die schwedische Fachzeitschrift Vi Bilägare veröffentlichte 2022 einen umfassenden Praxistest, der die Bedienbarkeit von Touchscreens im Auto kritisch beleuchtet. Zwölf Fahrzeuge aktueller und älterer Baujahre wurden miteinander verglichen, darunter auch ein Klassiker mit rein physischen Knöpfen, der Volvo V70 aus dem Jahr 2005. Die Testaufgaben waren bewusst alltäglich gewählt: Sitzheizung aktivieren, Temperatur einstellen, Heckscheibenheizung einschalten und den Radiosender wechseln. Während der Volvo diese Aufgaben in nur zehn Sekunden erledigte, benötigten moderne Fahrzeuge mit umfangreichen Touchscreens deutlich mehr Zeit. Besonders auffällig war der MG Marvel R, der im Schnitt 44,9 Sekunden für die gleichen Handgriffe brauchte, fast das Fünffache des Referenzfahrzeugs.

Auch andere aktuelle Modelle schnitten im Test nur mäßig ab. So brauchten Fahrer des BMW iX 30,4 und im Seat León 29,3 Sekunden, während Fahrzeuge mit vergleichsweise einfacher Benutzeroberfläche, wie der Volvo C40 oder der Dacia Sandero, etwas näher am Referenzwert lagen. Die Tester betonten, dass die Länge der Bedienvorgänge direkt mit der Komplexität der Menüs und der Notwendigkeit von Touch-Interaktionen zusammenhängt. Je verschachtelter die Menüs, desto länger müssen Fahrer durchgehend den Blick von der Straße nehmen.

Norwegen: Adresseingabe im „Blindflug“

Eine aktuellere Untersuchung aus Norwegen liefert weitere alarmierende Ergebnisse zur Ablenkung durch Touchscreens. Das Forschungsinstitut SINTEF und die Nord University führten im Auftrag der Verkehrssicherheitsorganisation Trygg Trafikk eine Analyse durch, wie stark die Bedienung von Bildschirmen im Auto die Aufmerksamkeit der Fahrer beeinträchtigt. Besonders kritisch erwies sich die Eingabe von Navigationszielen: Im Schnitt blickten die Fahrer dabei 16 Sekunden lang nicht auf die Straße, eine Zeitspanne, in der bei normaler Autobahngeschwindigkeit von 110 km/h über 1.300 Meter im "Blindflug" zurückgelegt werden.

Doch nicht nur komplexe Aufgaben wie die Navigation führten zu gefährlicher Ablenkung. Selbst vergleichsweise einfache Funktionen wie das Auswählen eines Musiktitels dauerten im Schnitt zehn Sekunden und sorgten ebenso lange für Ablenkung vom Verkehrsgeschehen. Selbst das Einstellen von Temperatur oder der Lüftung führte zu kurzen und potenziell riskanten Blickablenkungen.

Volvo V70 Cockpit

Studiensieger: Fahrer des Volvo V70 benötigten für vier Aufgaben im Cockpit nur 10 Sekunden - die geringste Ablenkung aller getesteten Fahrzeuge.

Tesla Cockpit

Cockpits wie das vom Tesla Model Y verzichten fast gänzlich auf Tasten oder Knöpfe und setzen auf einen zentralen Touchscreen.

Touchscreens gefährlicher als Alkohol

Bereits 2020 warnte das britische Transport Research Laboratory (TRL) vor den Gefahren durch Touchscreens im Fahrzeug. In einer Studie zeigte das Institut, dass die Bedienung von Bildschirmmenüs die Reaktionszeit von Fahrern deutlich stärker verlängert als das Fahren mit einer Blutalkoholkonzentration am gesetzlichen Grenzwert. Teilweise waren die Reaktionszeiten um mehr als 50 Prozent länger als unter normalen, ungestörten Bedingungen. Besonders auffällig sei, dass selbst moderne Systeme wie Android Auto oder Apple CarPlay, die eigentlich die Benutzerfreundlichkeit verbessern sollen, bei reiner Touch-Bedienung eine hohe Ablenkung verursachten. Sprachsteuerung konnte die Risiken zwar etwas verringern, beseitigte die Gefahr jedoch nicht vollständig, heißt es in einer ähnlichen Studie des US-Automobilclubs AAA.

Warum Touchscreens problematisch sind

Experten führen mehrere Ursachen dafür an, warum Touchscreens im Auto besonders ablenkend wirken. Zum einen erfordern sie ständigen Blickkontakt, während sich physische Knöpfe ertasten lassen, wodurch die visuelle Fixierung steigt, wie eine Studie auf ResearchGate 2013 zeigt. Zum anderen verstecken sich viele Funktionen hinter mehrstufigen, verschachtelten Menüs, was die Bedienzeit und die visuelle Ablenkung erhöht, wie Forscher auf arXiv 2024 analysierten. Fehlendes haptisches Feedback verstärkt das Problem zusätzlich, da Fahrer ohne spürbare Rückmeldung häufiger Fehler machen und länger auf das Display schauen müssen, wie eine Untersuchung von ResearchGate aus dem Jahr 2015 belegt. Schließlich trägt die wachsende Komplexität moderner Fahrzeuge mit zahlreichen Systemen und Einstellungen dazu bei, dass die Bedienung noch mehr Aufmerksamkeit beansprucht, wie eine Studie auf Taylor & Francis Online 2025 zeigt.

Gegenmaßnahmen

Das Forschungsprojekt FITS (Ensuring Safe and Effective Touchscreen Use in Moving Vehicles) geht die Probleme gezielt an. Wissenschaftler arbeiten daran, Fehleingaben durch Fahrzeugbewegungen automatisch zu korrigieren und taktile Rückmeldungen zu simulieren, damit Bedienvorgänge intuitiver, spürbarer und sicherer werden. Erste Autohersteller experimentieren bereits mit Vibrationsrückmeldungen oder vereinfachten Benutzeroberflächen, um die Bedienzeit zu reduzieren und die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen.

Euro NCAP

Auch die Prüforganisationen reagieren auf die zunehmende Kritik. Euro NCAP, die europäische Organisation für Fahrzeugsicherheitsbewertungen durch Crashtests, hat angekündigt, ihre Kriterien ab Januar 2026 zu verschärfen. Künftig soll kein Auto mehr die Bestnote von fünf Sternen erhalten, wenn elementare Funktionen wie Blinker, Scheibenwischer oder die Warnblinkanlage ausschließlich über Touchscreens bedient werden können. Zwar haben die Euro-NCAP-Vorgaben keine gesetzliche Bindung, doch die Bewertungen sind für Hersteller ein Verkaufsargument.

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