Im Blindflug durch den Verkehr: Wie Ablenkungen Leben kosten

Immerhin ist zumindest eine Hand am Steuer.
Zusammenfassung
- Smartphone-Nutzung während der Fahrt erhöht das Unfallrisiko erheblich und ist ein weit verbreitetes Problem im Straßenverkehr.
- Österreichische Studien zeigen, dass Ablenkung am Steuer ein Hauptgrund für Verkehrsunfälle ist, wobei jeder vierte Unfall darauf zurückzuführen ist.
- Verkehrsorganisationen fordern strengere Maßnahmen und Sanktionen gegen Handyverstöße sowie mehr Prävention und technische Lösungen gegen Ablenkungen am Steuer.
Ein flüchtiger Smartphone-Check, die Suche nach einer Wasserflasche oder das Einstellen des Touchscreens – schon kurze Augenblicke der Ablenkung am Steuer können schwerwiegende Konsequenzen haben. Auch wenn dies ein vermeintliches Kavaliersdelikt sein mag, haben bereits 72 Prozent der Teilnehmer einer aktuellen Umfrage des ÖAMTC eingeräumt, sich beim Autofahren regelmäßig von unterschiedlichen Faktoren ablenken zu lassen.
Smartphone bleibt Risiko Nummer eins
Trotz gesetzlichem Verbots nutzen laut Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) etwa 40 Prozent der Lenker regelmäßig ihr Handy während der Fahrt. Dabei sei besonders das Lesen und Schreiben von Nachrichten gefährlich, warnt ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger: „Es spricht nichts dagegen, Kurzinfos via Freisprechanlage auszutauschen, aber auf inhaltsvolle und längere Gespräche oder auf Textnachrichten sollten Lenker während der Fahrt unbedingt verzichten – diese Aktionen dauern oft lange und ziehen zu viel Aufmerksamkeit von der aktuellen Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmer ab.“
Die unterschätzte Gefahr der Ablenkung wurde im Rahmen einer aktuellen Untersuchung des KFV mit 40 Probanden im Alter von 18 bis 50 Jahren deutlich aufgezeigt. Dabei wurde das Fahrverhalten unter verschiedenen Ablenkungsszenarien analysiert. Das Ergebnis: Bei Tätigkeiten wie dem Schreiben einer Nachricht oder der Bedienung eines Touchscreens stieg die Reaktionszeit signifikant. Die Lenker übersahen Stopptafeln, verpassten Vorfahrtsregeln oder gerieten unabsichtlich in den Gegenverkehr.
Verkehrssicherheitsexperte Dipl.-Ing. Klaus Robatsch vom KFV betont: „Wenn Sie beim Lenken eines Kfz abgelenkt sind, verschlechtern sich Ihre Reaktionszeiten massiv, Sie vergessen eher zu blinken, übersehen wichtige Verkehrshinweise oder Sie verringern unwillkürlich den Sicherheitsabstand zum Vorderfahrzeug.“

Fast jede zweite Person greift während der Fahrt zum Smartphone. Eine Ablenkung, die quer durch alle Alters- und Geschlechtergruppen verbreitet ist.
Multitasking ist ein gefährlicher Mythos
Dass Verkehrsteilnehmer glauben, sie könnten gleichzeitig telefonieren und dabei konzentriert Auto fahren, ist laut Forschungsergebnissen ein gefährlicher Irrtum. Studien, unter anderem vom deutschen Bundesamt für Straßenwesen (BASt), zeigen klar: Das menschliche Gehirn kann zwar schnell zwischen Aufgaben wechseln, verliert dabei aber jedes Mal an Konzentration und Reaktionsfähigkeit. Dieses Phänomen wird in der Wissenschaft als „inattentional blindness“ beschrieben – dem Übersehen offensichtlicher Gefahren trotz geöffneter Augen.
Auch Seidenberger bestätigt die Erkenntnisse und verweist auf ein zunehmendes Risiko durch die Vielzahl an technischen und visuellen Reizen im Fahrzeuginneren: „Ablenkung ist ein multifaktorielles Problem – sie entsteht nicht nur durch Unachtsamkeit, sondern auch durch die ständige Reizüberflutung moderner Fahrzeuge.“ Große Touchscreens, komplexe Bordcomputer, Sprachsteuerung oder verschachtelte Menüführungen verlangen von Fahrern immer mehr visuelle und kognitive Aufmerksamkeit.
Forderungen nach strengeren Maßnahmen
Vor diesem Hintergrund fordern Verkehrsorganisationen verschärfte Maßnahmen. In der ÖAMTC-Umfrage sprachen sich über 60 Prozent der Befragten für strengere Strafen bei Handyverstößen aus, etwa höhere Geldbußen oder einen sofortigen Führerscheinentzug bei schweren oder wiederholten Vergehen. Auch technische Lösungen wie Handyblocker oder Fahrzeugfunktionen, die während der Fahrt bestimmte Apps sperren, werden diskutiert. Gleichzeitig spiele auch Prävention eine zentrale Rolle, etwa durch Fahrassistenzsysteme, die intensiver auf Ablenkungen reagieren.
In Österreich ist die Handybenutzung am Steuer ohne Freisprecheinrichtung verboten. Wer erwischt wird, zahlt 100 Euro Organmandat. Bei Gefährdung oder wiederholten Verstößen droht ein Führerscheinentzugsverfahren. Die Polizei setzt punktuell auch auf Zivilstreifen und Drohnen, um Verstöße besser dokumentieren zu können. Dennoch bleibt die Dunkelziffer hoch: Viele Fahrer tippen oder scrollen unbemerkt, oft nur für wenige Sekunden, aber mit potenziell verheerenden Folgen.
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