Erste Kilometer am Steuer des brachialen Kia EV6 GT
Was tatsächlich in ihm steckt, sieht man dem schärfsten Kia EV6 nicht an. Die Koreaner haben die GT-Version des aktuellen Autos des Jahres optisch nur dezent verändert.
Spezielle Felgen samt neongrüner Bremssättel, ein paar Retuschen an Front- und Heckpartie, Schalensitze mit Wildlederbezug und ebenfalls neongrünen Nähten müssen reichen, um den GT vom normalen EV6 optisch abzusetzen. Sehr dezent angesichts der brachialen Leistungsdaten des sportlichen Topmodells der Baureihe.
In dieser Hinsicht haben die Koreaner nämlich jede Zurückhaltung fahren lassen und voll ins motorische Doping-Regal gegriffen. Mit 430 kW (585 PS) Gesamtleistung und einem maximalen Drehmoment von 740 Nm setzt sich der GT gleich um 80 % vom auch nicht gerade untermotorisierten Basismodell (239 kW / 325 PS) nach oben hin ab.
Soweit die Ausgangslage in Zahlen. Wie sich das auf der Straße anfühlt, konnte nun bei einer kurzen Ausfahrt auf dem und rund um das Flugfeld von Svindal im Norden Dänemarks erstmals am Steuer erkundet werden.
Erster Eindruck nach dem Einsteigen: Wären da nicht die Schalensitze und der kleine grüne Knopf unten auf dem Lenkrad, man würde auch jetzt noch nicht vermuten, in welcher Rakete man Platz genommen hat. Dieses Understatement setzt sich auch beim Anfahren fort. Wer nicht gleich alle Register zieht, bewegt sich mit dem EV6 GT genau so problemlos und unspektakulär durch den Alltagsverkehr wie mit dem normalen Modell. Erst wenn mehr Platz vor dem Bug ist, und der Fahrtgeber (ehemals Gaspedal) offensiver genutzt wird, beginnt der GT sein wahres Wesen zu zeigen. Spätestens, wenn beim ersten etwas entschlosseneren Beschleunigen die Kopfstütze von hinten anklopft, wird einem bewusst, dass man in einem Kia sitzt, mit dem man notfalls in nur 3,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 kommen kann.
Nun ist enormer, unmittelbarer Schub bei Elektroautos ja technisch bedingt nicht mehr ganz so ein Wow-Faktor wie ehedem bei Verbrennern. Die Kunst liegt hier eher in der Fähigkeit, all die anliegende Kraft auch in Vortrieb umzusetzen, ohne die Traktionsfähigkeit der Reifen zu überfordern oder via elektronischer Spaßbremsen alles gleich wieder wegzufiltern. Und hier zeigt der EV6 GT, dass seine Entwicklungsingenieure ihr Handwerk verstehen. Auf die Straße gebracht wird all die Kraft der beiden Motoren (Vorderachse 160 kW/218 Ps, Hinterachse 270 kW/367 PS) in beeindruckender Weise. Und das eben nicht nur beim stehenden Start unter Idealbedingungen, sondern auch aus den verschiedensten Fahrsituationen heraus. So hängt der GT am Gas wie ein bissiger Hund am Hosenbein, wenn man ihn lässt.
Dies vor allem dann, wenn etwa vor einem Überholmanöver die grüne Taste auf dem Lenkrad gedrückt wird. Selbst wenn zuvor batterieschonend gebummelt wurde, stellt der GT dann in Sekundenbruchteilen alle Systeme auf größtmöglichen Vortrieb um. Der sollte aber erst abgerufen werden, wenn man nicht mehr in der selben Spur wie der zu Überholende fährt. Sonst könnte es angesichts der Leistungsexplosion und des maximalen Landgewinns bei minimalem Zeitaufwand eng werden beim Ausschwenken. Mit anderen Worten: Überholmanöver schrumpfen nach dem Drücken der GT-Taste zu ungeahnt kurzen Episoden.
Dass es auch in die andere Richtung entsprechend hurtig geht, dafür ist nicht nur die sehr erwachsene, konventionelle Bremsanlage verantwortlich. Auch die Rekuperationsstufen - wie bei jedem anderen EV6 via Schaltwippen am Lenkrad dosierbar - tragen ihr Schärflein zur Bändigung des Vortriebs bei. Die Rekuperationsleistung liegt beim GT bei bis zu 300 kW. Das hilft nicht nur, die 77 kWh-Batterie bei Laune zu halten, sondern gibt dem sportlich ambitionierten Fahrer auch ein tolles Instrument in die Hand, um bei zügiger Fahrt das Anbremsen von Kurven dynamischer zu gestalten, als man das gemeinhin von einem zumindest knapp 2,2 Tonnen wiegenden Elektroauto erwarten würde.
Das stattliche Gewicht lässt sich auf kurvigen Straßen zwar nicht wegdiskutieren, wie das Fahrwerk des EV6 GT mit Lastwechseln und flott angegangenen Biegungen aller Radien umgeht, ist angesichts der gewichtigen Vorgaben dennoch beachtlich.
Was die Reichweite angeht, so sind die unter Idealbedingungen maximal möglichen 424 km wohl Makulatur, sobald man den EV6 GT seinen Möglichkeiten gemäß bewegt. Allerdings lässt es sich im Eco-Modus eben auch vollkommen entspannt und batterieschonend mit ihm gleiten.
Nur genau dafür wird wohl kaum jemand die zumindest 75.990 € locker machen, die für den Kia EV6 GT bei uns fällig werden. Noch dazu, wo die E-Auto-Förderung bei dem Preis auch nur vom eigenen Konto kommen kann.
Oder einem wohlwollenden privaten Sponsor.
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