50 Jahre Ford Escort: Unterwegs in der ersten Generation
August 1968: Die Sowjets walzen den Prager Frühling nieder, in Westeuropa beruhigt sich langsam die Studentenbewegung. Während in den USA mit High-Tech am ersten bemannten Flug zum Mond gearbeitet wird, preist Ford Deutschland eher Low-Tech an: "Die funktionelle Schönheit der gelungenen Karosserie machte den Escort zum Verkaufsschlager in England und auf den Exportmärkten" wird den Journalisten entgegengeschleudert. Auf der Bühne des Hilton-Hotels in West-Berlin steht eine etwas knubbelige Limousine: der neue Ford Escort.
Pure Protzerei? Mitnichten. Schon im November 1967 war die Produktion des Ford Escort in Großbritannien gestartet, im Januar 1968 gab der Wagen sein Debüt. Ihm zugrunde lag die Idee aus der US-Konzernzentrale, in Europa mehr Synergien zu schaffen. Bis dato hatten England und Deutschland völlig eigenständige Modellpaletten. Mehr Zusammenarbeit klingt gut, und sollte sich später mit dem Capri auch bestens bewähren. Doch der Escort als erstes Europa-Baby gerät sehr stark nach seiner britischen Mutter. Hier war der Escort als Nachfolger des verschrobenen Anglia vorgesehen. Erst kurz vor dem Serienstart ändert man übrigens den Namen auf deutschen Wunsch in Escort. Ansonsten ist Ford in Köln nur wenig in die Entwicklung eingebunden.
Problematisch wird das weniger beim etwas knubbeligen Design mit leichtem Hüftschwung. Hier erwirken die Deutschen eine zusätzliche Variante mit hinteren Türen. Knackpunkt ist eher das rustikale Fahrwerk: Vorne sind die Räder einzeln an Federbeinen mit integrierten Schraubenfedern aufgehängt. Hinten jedoch gibt es nur eine Starrachse mit Blattfedern. Ford Deutschland baut vorne stets einen Querstabilisator ein. 1969 wird das nochmals Fahrwerk nochmals überarbeitet, 1970 ergänzt Ford Deutschland die Hinterachse mit zwei Längslenkern.
In Großbritannien scheint die simple Technik niemanden zu stören, schließlich sorgt sie auch für günstige Preise. Hier geht der Escort richtig durch die Decke: Schon fünf Monate nach der Markteinführung läuft in Halewood bei Liverpool das 100.000ste Exemplar vom Band. Ford Deutschland produziert den Escort im belgischen Genk, später dann in Saarlouis. Mitte 1974 wird Ford den zweimillionsten Escort bauen. Zu diesem Zeitpunkt betritt der neue VW Golf mit Frontantrieb und praktischer Steilheck-Karosserie die Bildfläche. Für die 1975 vorgestellte zweite Escort-Generation wird es damit schwer, zumal sie technisch noch immer auf dem Vorgänger basiert.
Aufgrund des markanten Grills hatte der erste Escort schnell seinen Spitznamen weg: Hundeknochen.
Genau den darf ich nun, 50 Jahre nach der Deutschland-Premiere fahren. Aufgrund des markanten Grills hatte der erste Escort schnell seinen Spitznamen weg: Hundeknochen. Am schwarzen Kunststoffgrill erkenne ich das spätere Baujahr. Mein Fahrzeug ist eine dreitürige Limousine, es gab sie auch mit hinteren Türen sowie als Kombi und Kastenwagen. Die Abmessungen: 3,98 Meter lang, 1,57 Meter breit und 1,40 Meter hoch.
Der wichtigste Rivale des Escort zu jener Zeit, der VW Käfer, ist länger, bietet aber weniger Platz: Vorne geht es im Escort durchaus geräumig zu, wenngleich man als Fahrer aufgrund der Breite seinen linken Arm ständig an die Tür lehnt. Hinten verschenkt der Escort durch seine Limousinenform einiges an Platz. Die Sitze sind weich, ohne Seitenhalt und Kopfstützen sowie teilweise mit Kunstleder bezogen. Folglich erreiche ich mein Ziel verschwitzt mit steifem Nacken. Ein Pluspunkt dagegen für damalige Kunden: Satte 425 Liter Kofferraumvolumen. (Kombis hatten Ende der 1960er-Jahre noch einen eher schlechten Ruf.)
Ich sehe mich um: Vor Rätsel stellt mich das Escort-Cockpit nicht. Den größten Bildschirm hatte damals der Fernseher im Wohnzimmer und nicht das Auto. Die Heizung eingerechnet, zähle ich ganze sechs Schalter. Vor meiner Nase: Tacho, Tank, Kühlwasser. Punkt, fertig, aus. Für etwas Noblesse sorgt ein dicker Streifen aus Kunstholz, schließlich sitze ich der Ende 1970 eingeführten L-Version. Interessant: Auf dem großen Dreispeichen-Lenkrad steht nicht etwa Ford, sondern nur "Escort". Ganz zeitgemäß waren drei Aschenbecher serienmäßig.
Das entscheidende Extra befindet sich zwischen mir und dem Beifahrer: eine Dreigang-Automatik. Jawohl: DREI Gänge, gekoppelt an eine 1,3-Liter-Maschine mit 57 PS. 137 km/h Spitze, 23,3 Sekunden auf Tempo 100, Verbrauch 8,8 Liter Normalbenzin auf 100 Kilometer. Das kann ja heiter werden.
Schon bei 30 km/h im Kreisverkehr quietschen die winzigen Räder im Format 155 SR 12.
Wird es auch, aber anders als erwartet. Die Escort-Motoren (es gibt auch einen 1100er) sind sehr kurzhubig ausgelegt, aber elastisch. Tatsächlich geht mein Escort trotz der Uralt-Automatik bis Tempo 70 überraschend flott voran, erst dann wird es zäh. Vielleicht vermittelt auch das sonor-brummige Motorgeräusch mehr Spritzigkeit als überhaupt da ist. Die Automatik wechselt die Gänge natürlich nicht butterweich, aber weil es lediglich drei sind, werde ich nur selten belästigt. Man muss sich das so vorstellen: Der Motor dreht, dreht, dreht, dann "klonk" und weiter gehts.
Haarig wird es beim Fahrwerk: Schon bei 30 km/h im Kreisverkehr quietschen die winzigen Räder im Format 155 SR 12. Auf schlechtem Fahrbahnbelag und in Kurven versetzt die Hinterachse gerne und neigt zum Trampeln. Und trotzdem macht der Ford Escort MkI (wie die Engländer die erste Generation bezeichnen) viel Spaß. Ganz zu schweigen von den Reaktionen im Volk: Sätze wie "So einen hatte ich auch mal!", "Weißt Du noch, so einen fuhr Onkel Paul!", "Das war meine Zeit" und "Mein Fahrschulauto" zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht.
Aber finden Sie heutzutage erst einmal einen ganz normalen Escort der ersten Serie. Nur ein Dutzend Exemplare warf mir das Internet aus. Was geschah nur mit dem Millionending Escort? Weggerostet und weggeschmissen. Oder aufgemotzt. Legendär wurden nämlich die Sportmodelle: Twin Cam und Cosworth-BDA auf der britischen Insel, RS 2000 ab 1973 mit 100 PS in Deutschland. Größte Erfolge im Motorsport? Sieg bei der Rallye London-Mexiko 1970 und bei der East African Safari 1972. Doch das ist eine ganz andere Geschichte....
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