Und dann gibt es den „Gegenentwurf“ zur polierten Kunstfigur, aber auch das ist wohl Kalkül. Angela Merkel signalisiert mit „antiken“ Freizeit-Outfits (aus DDR-Zeiten?) und mehrfach getragenen Abendroben auch etwas: dass sie ihre Zeit nicht mit oberflächlichem Firlefanz verschwendet und so lebt wie du und ich (wovon in ihrem Job natürlich keine Rede sein kann).
In der Politik ist mittlerweile ja Authentizität wichtiger als glatte Fassade. Das wissen Populisten besonders für sich zu nutzen: Donald Trump und Boris Johnson signalisieren allein durch ihre Haartracht Unangepasstheit.
Aber nicht nur die Inszenierung, auch die Enttarnung ist heute leichter möglich denn je. Jede Schwäche von Politikern wird vor den Vorhang gezerrt („Merkel-Zittern“). Dass US-Präsident Franklin Roosevelt seinerzeit im Rollstuhl saß, wurde hingegen geheim gehalten. Genauso wie das Rückenleiden von John F. Kennedy, seine Medikamentenabhängigkeit – und seine zahllosen Affären. Während umgekehrt ein heftiger Krach zwischen Boris Johnson und seiner Freundin weltweit die Gazetten bewegte. Hierzulande werden solche Geschichten oft kolportiert, verifizierbar sind sie selten. Würde man alle außerehelichen Kinder von Landeshauptleuten zusammenzählen, die es „ganz echt“ gibt, könnte man einen eigenen Kindergarten mit ihnen füllen. Außerdem wird seit Jahren der jeweils amtierende ÖVP-Chef als heimlich schwul bezeichnet. Wäre das, wenn schon, denn eine Schwäche? Noch schlimmer als golfende Gewerkschafter oder seidenblusen-tragende SPÖ-Chefinnen?
Seien wir gnädiger – zu anderen und auch zu uns. Makellose Menschen sind unrealistisch und unheimlich. Im Gedächtnis bleiben außerdem eher jene, die Charakter zeigen, statt sich ständig nur mit Selbstoptimierung zu beschäftigen. Sprich: Sei du selbst, statt „pimp yourself“.
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