Work-Life-Balance

Work-Life-Balance
Lass dir das Leben nicht vom Job versauen – dieser Ansatz ist durchaus nachvollziehbar, aber keine Zukunftsperspektive
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Der kluge Psychiater Michael Musalek sagte zuletzt in einem Interview mit der Krone, dass es der falsche Weg sei, Arbeiten und Leben als Widerspruch zu sehen. Die Arbeit sei ein wesentlicher Teil unseres Lebens, sie gebe uns Inhalt, Struktur, Sozialkontakte, Sinn und Erfolgserlebnisse. Man müsse daher Rahmenbedingungen schaffen, um Arbeit als etwas Freudvolles erleben zu können.

Genau das muss man all den Montags-Rednern sagen, die an diesem 1.  Mai ausrücken werden, um entweder einander oder die Regierung zu beschimpfen.

Work-Life-Balance also – was versteht man darunter im täglichen Sprachgebrauch? Im Prinzip weniger arbeiten, mehr Freizeit. Keine Chance mehr für den Beruf, persönliche Bedürfnisse zu verdrängen. Lass dir das Leben nicht vom Job versauen.

Aber warum ist das so? Daraus abzuleiten, dass die Arbeitnehmer von heute, selbst bei einer ihren Qualifikationen entsprechenden Beschäftigung, grundsätzlich keine Lust mehr aufs Arbeiten hätten, ist zu simpel. Viele junge Leute sehen nicht einmal im Ansatz eine Chance, sich mit einem normalen Job innerhalb einer absehbaren Zeit eine abgesicherte Existenz aufzubauen, ein Haus oder eine Eigentumswohnung selbst zu erwirtschaften. Und ältere Beschäftigte haben in ihrer Berufslaufbahn miterlebt, wie sich Arbeit geändert hat. Der Druck ist unvergleichlich größer als noch vor einigen Jahren. An einem Acht-Stunden-Tag wird im Regelfall wesentlich mehr erledigt als einst beim Berufseinstieg innerhalb von zwei, drei Tagen. Daraus resultiert bei den einen eine Verlagerung der Ideale und bei den anderen der Wunsch nach längeren Ruhephasen. Auch unter diesem Gesichtspunkt sollte man die Debatte um Arbeitszeitverkürzung sehen.

Das ist jetzt kein Plädoyer für eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn (mag in manchen Branchen funktionieren, in anderen gar nicht) und auch keines für andere schnelle Antworten. Das ist ein Appell an die Politik, an Sozialpartner und vor allem an Unternehmen selbst, sich offensiv und ohne ideologische Scheuklappen mit den sich so rasant ändernden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt auseinanderzusetzen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die wieder mehr Sinn und Erfolgserlebnisse ermöglichen (siehe Musalek).

Den Tag der Arbeit gibt es seit mehr als 100 Jahren als Feiertag. So weit müssen wir gar nicht mutmaßend nach vorne schauen, es reichen wohl 20 oder 30 Jahre, um in der Glaskugel zu erahnen, dass vieles von dem, worüber wir heute politisch streiten, nicht mehr die geringste Rolle spielen wird. Wird es dann die SPÖ noch in dieser Form geben? Für wen macht die ÖVP Politik? Wer waren die Neos? Und was ist ein Betriebsrat?

Die öffentliche Debatte entfernt sich von der Realität der Menschen genauso weit wie die Arbeit von ihren Idealen.

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