Es war ein Ereignis, für welches der inflationär gebrauchte Begriff „Zäsur“ tatsächlich passt. Eine Art innenpolitisches 9/11 (ohne natürlich die Tragik und die Dimensionen auch nur irgendwie vergleichen zu wollen), bei dem es ein Vorher und ein Nachher gibt, welches den Gang der Dinge maßgeblich beeinflusst hat, und von dem auch fast jeder weiß, wo er gerade war, als „es passierte“. Die Veröffentlichung des Ibiza-Videos vor genau vier Jahren hat ein Beben ausgelöst, dessen Nachwirkungen heute noch spürbar sind.
Dies gilt freilich nur zum Teil. Die Partei, deren damaliger Chef ungewollter Protagonist des Videos war, liegt in den Umfragen mit recht klarem Vorsprung auf Platz eins. Hinfallen, Staub vom Anzug abbeuteln, weitergehen – Ibiza, war da was? Es ist tatsächlich bemerkenswert, wie aus einem FPÖ- sukzessive ein ÖVP-Skandal wurde. Was sich nicht zuletzt an den beiden auf Ibiza folgenden Untersuchungsausschüssen ablesen lässt: Lief der erste immerhin noch unter der Überschrift „Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“, war der zweite gleich ganz auf die ÖVP „zugeschnitten“: „Untersuchungsausschuss betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder“.
Im Unterschied zur FPÖ hat sich die ÖVP demnach bis heute nicht wirklich von jenen Tagen des 17. Mai 2019 ff. erholt. Wenngleich die Talsohle durchschritten sein dürfte – wohl auch deswegen, weil sich Bundeskanzler Karl Nehammer zuletzt um stärkere Abgrenzung zum Koalitionspartner und Profilschärfung im Sinne der bürgerlichen Klientel bemüht hat.
Was wir seit Ibiza gelernt haben: Dass Politik über weite Strecken so funktioniert, wie wir uns das ohnedies immer vorgestellt haben und wie sie vermutlich auch früher funktioniert hat. Nur dass das mangels Möglichkeiten nicht im digitalen Raum dokumentiert, weiterverbreitet und interessengeleitet in Endlosschleife präsent gehalten wurde. Das ist keine Entschuldigung für vieles, was hier sichtbar wurde. Aber es bleibt dennoch erschreckend, wie vieles an die Öffentlichkeit gedrungen ist, was für diese nicht bestimmt war. Die Vorstellung jedenfalls, die Kommunikation politischer Entscheidungsträger müsste völlig transparent ablaufen, ist illusorisch.
Und noch etwas: So sehr sich Heinz-Christian Strache damals für jede weitere politische Tätigkeit charakterlich diskreditiert hat, so wenig Grund gibt es, die üblen Machenschaften der Fallensteller zu heroisieren, Stichwort: „zivilgesellschaftliches Projekt“. Ibiza wird sich nicht wiederholen – es wird spannend zu sehen sein, wie die nächste Eskalationsstufe aussieht. Gewinn für die Demokratie wird es keiner sein.
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