Bei vielen dieser „wohlmeinenden“ Ratgeber liegt der Verdacht nahe, dass dahinter vor allem die Angst vor einer neuerlichen ÖVP-FPÖ-Regierung steckt – und die Einsicht, dass sich die insgeheim herbeigesehnte link(sliberal)e Koalition aus SPÖ, Grünen und Neos ziemlich sicher nicht ausgehen wird. Aus jetziger Sicht wird es entweder eine von der FPÖ angeführte Zweierkoalition mit der ÖVP (oder der SPÖ) geben oder aber eine Regierung aus SPÖ, ÖVP plus Neos oder Grüne. Also eine Neuauflage der zurecht viel gescholtenen „Großen Koalition“, nur mangels „Größe“ mit einer dritten Partei und dementsprechend noch mühsamer und lähmender – und damit der FPÖ weiter Aufwind verschaffend.
Dass die ÖVP eine Strategie hätte, wie sie aus dieser misslichen Lage herauskommen könnte, ist mit freiem Auge nicht zu erkennen. Aber sie wäre schon einmal gut beraten, all die oben genannten Ratschläge durchzuwinken. Was Kurz betrifft: Die Partei sollte sich weder im Positiven noch im Negativen über eine einzelne Person definieren. Aber dabei dennoch nicht vergessen, dass Kurz einer von zwei erfolgreichen Parteichefs der letzten 30 Jahre war. Und dass – bei allem, was man ihm vorwerfen kann (Personalauswahl, Regieren via Inner Circle, Vernachlässigung bestimmter Politikfelder, zu starke Betonung der Inszenierung) – die prinzipielle Ausrichtung, die er für die Partei vorgegeben hat (Stichwort „ordentliche Mitte-Rechts-Politik“), jene ist, die sich bürgerliche Wähler erwarten. Für all jene aber, welche eine solche Politik ablehnen, stehen ohnedies alternative Angebote zur Wahl.
Der Historiker und CDU-Vordenker Andreas Rödder hat kürzlich in einem Interview mit der Welt bemerkenswert klare Worte an die deutschen Unionsparteien gerichtet, welche auch auf Österreich und die ÖVP zu übertragen wären: Rödder plädiert entschieden für „eine unterscheidbare bürgerliche Partei […], die sich aktiv von den Grünen absetzt“. Als „soft-grüne Partei“ würde sich die CDU „überflüssig machen“. Und er benennt die „Herausforderung, das Narrativ der Klimaaktivisten und Postkolonialisten zu überwinden, die bürgerliche westliche Gesellschaft sei im Kern zerstörerisch und rassistisch“.
Vielleicht sollte sich die ÖVP-Spitze einmal mit Herrn Rödder zusammensetzen.
Kommentare