Dennoch kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass diese Auftritte inflationär geworden sind. Selenskij macht Druck, die Ukraine weiter mit Waffen und Geld zu beliefern. Hoffentlich gibt es dennoch hinter den Kulissen Friedensverhandlungen. Realismus wäre auf allen Seiten angesagt. Denn so schrecklich und zynisch es klingen mag: Zwar hat Russland tatsächlich nicht mit einer so heroischen Gegenwehr der Überfallenen gerechnet. Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass die Ukraine diesen Krieg vollständig gewinnen und auch die schon davor besetzten Gebiete zurückerobern kann. Natürlich sind auch Sanktionen gegen den Aggressor richtig. Aber derzeit schaden sie Europa (beinahe nur Europa) mehr als dem Adressaten. Putin hat Image-mäßig diesen Krieg verloren – militärisch und wirtschaftlich aber leider nicht. Zumindest derzeit.
Seine Strategie scheint sogar aufzugehen. Russland hat vor dem Krieg für einen niedrigen Stand in den europäischen Gasspeichern gesorgt und damit die Preise zusätzlich hochgetrieben. In Europa wollte man nicht zu hohen Kosten auf Vorrat kaufen. Mit einem russischen Angriff rechneten die USA, aber nicht die Europäer. Die russischen Gas-Preise haben sich seither vervielfacht. Mit viel geringeren Lieferungen verdient Russland mehr. Die Energieexporte nach China und Indien haben gleichzeitig stark zugenommen. Russland schlägt sich wirtschaftlich besser als gedacht, gab Wifo-Chef Gabriel Felbermayr im Spiegel-Interview zu. Die Schritte gegen russische Banken, im Westen kürzlich noch als „Atombombe“ bezeichnet, hätten kaum Wirkung entfaltet.
Im Winter kann Putin mit der Hand am Gashahn „spielen“: Es könnte „zufällige“ Probleme, etwa „technische Gebrechen“ (wie schon jetzt) bei den Gaslieferungen geben – mit derzeit noch gar nicht vorstellbaren desaströsen Folgen. Spätestens wenn unsere Wohnungen ungeheizt bleiben und die Industrie aufgrund von Produktionsstillstand massenhaft kündigen muss, wird die Solidarität mit der Ukraine (und mit den äußerst optimistischen Ökozielen) dahinschmelzen.
George Clooney, der sich mit seiner Frau dem Kampf für Menschenrechte verschrieben hat, sagte in Wien – neben Plattitüden – etwas Wichtiges: Zuerst müsse es um den Frieden gehen, dann müsse Gerechtigkeit die Hauptrolle spielen.
Kommentare