Umgang mit Alten und Kranken: Ein inhumaner Zustand

Martina Salomon
Das Coronavirus darf nicht unser soziales und kulturelles Leben zerstören
Martina Salomon

Martina Salomon

Wir sind in Phase zwei der Regierungsmaßnahmen. Der „Hammer“ ist niedergesaust, hat das öffentliche Leben in noch nie gekanntem Maße platt gemacht, die Infektionskurve ist deutlich abgeflacht. Der Shutdown war erfolgreich, die Bevölkerung unfassbar diszipliniert. Nun ist die noch schwierigere „Tanz“-Phase angesagt, die der US-Autor Tomas Pueyo so nachdrücklich beschrieben hat: ein Auf und Ab, also vorsichtiges Öffnen und wieder Zurückfahren, sollte die Infektionsrate wieder steigen. Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg. Und es gilt weiterhin, was der Philosoph Konrad Paul Liessmann kürzlich im KURIER beschrieben hat: „Empathisch ist jetzt, wenn ich um jeden einen Bogen mache.“

Was für eine schreckliche neue Normalität: maskiert, vor jeder Begegnung verängstigt zurückschreckend. Quasi Burka für alle! Weil wir die Wirtschaft mit einem zweiten Shutdown endgültig zerstören (und damit noch viel mehr Tote als durch COVID riskieren) würden, werden sich grausame Fragen stellen. Eine davon betrifft unser Verhältnis zu alten Menschen. Um sie zu schützen, müssten wir sie noch mehr isolieren. Und zwar langfristig, machen wir uns nichts vor. Die „Durchseuchungsrate“ ist niedrig, eine Impfung in weiter Ferne, und Österreich keine Insel. Der größte Teil der Todesfälle (wenn auch nicht alle) trifft sehr alte, sehr kranke Menschen. International sind Pflegeheime stark betroffen. Daher wurden Besuche untersagt, auch im Spital. Menschen leiden und sterben dort mutterseelenallein – ein unhaltbarer und inhumaner Zustand. Ist das eine Gesellschaft, in der wir leben wollen?

Vergangene Woche haben wir ein erschütterndes Bild veröffentlicht: Die Ehefrau mit einem Blumenstrauß in der Hand, hinter dem Fenster ihr im Heim lebender Mann, mit dem sie 60 Jahre verheiratet ist. Muss er jetzt einen sozialen Tod sterben? Ist der freie Wille, im schlimmsten Fall durch so einen Kontakt vielleicht verfrüht sterben zu müssen, gar nichts mehr wert?

So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Aus Studien in Ländern mit Sterbehilfe wissen wir, dass der Todeswunsch nicht nur durch Krankheit, sondern vor allem aus Einsamkeit und Lebensüberdruss entsteht. (Abgesehen davon werden wir bald bemerken, dass die Todesrate bei uns weniger wegen COVID, sondern wegen unbehandelter Erkrankungen gestiegen ist.) Es muss etwas geschehen gegen die Entmenschlichung. Mit Schutzbekleidung, Abstand, Hygiene sollten wir wieder unsere Eltern und Großeltern und auch Kranke im Spital besuchen können. Wenn unbedingt nötig auch mit der App, die anschlägt, wenn wir Kontakt mit Infizierten hatten. Das Virus wird uns noch Monate (Gott behüte, Jahre) begleiten. Aber es darf nicht unser soziales und kulturelles Leben zerstören.

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