„Sehr geehrtes Festpublikum! Wissen Sie eigentlich, wie privilegiert wir in Österreich sind? In kaum einem anderen Land zelebriert man Kunst und Kultur ausgiebiger, nirgendwo hat man einfacheren Zugang dazu. Neben den Festspielen ist das ganze Land überzogen von kleinem und großem Sommertheater, bis hin zu Gratis-Events. Und im (stets ausverkauften) Kabarett spottet man über – fast – alles. Entgegen aller Unkenrufe sind wir ein freies Land, auch was die Pressefreiheit betrifft.
Allerdings bedrohen internationale Entwicklungen und schlechte nationale Reformen den Journalismus in Österreich. Stellen Sie sich darauf ein, dass wir nicht nur in diesem Bereich an einem Wendepunkt stehen. Der Wirtschaftsstandort und vielleicht auch der soziale Friede sind von Arbeitskräftemangel und demografischem Wandel bedroht. Arbeitsmarktreformen sind unumgänglich – und auch eine steuerliche Entlastung. Was bedeutet, dass der Staat weniger Geld zum Ausgeben haben wird. Was unter anderem Änderungen am Pensionssystem zur Folge haben müsste, sonst sind die Babyboomer die „letzte Generation“ mit sicheren Pensionen. Strafen Sie jene nicht ab, die das anzugreifen wagen, und seien Sie jenen misstrauisch gegenüber, die Reformen für „neoliberales“ Teufelszeug halten.
Bereiten Sie sich außerdem auf die nächste große Umwälzung vor: die künstliche Intelligenz. KI wird manches besser machen: Routinearbeit abnehmen, Diagnosen erleichtern und hoffentlich auch eine sommerliche Baustellenkoordination ermöglichen, wozu die Wiener Verwaltung nicht in der Lage ist. Aber weder bereitet das Schulsystem seine Absolventen darauf gut vor (worauf bereitet es eigentlich gut vor?), noch hat die Gesellschaft die letzte digitale Revolution verkraftet.
Lassen Sie sich dennoch nicht in eine Weltuntergangsstimmung treiben. Und stecken Sie sich bitte keinesfalls mit dem „Ich-habe-die-Wahrheit-gepachtet-Virus“ an. Alle Teile der Gesellschaft, auch Sie, sind aufgefordert, dieses Gift der Häme, der Aggression und des Verächtlichmachens Andersdenkender zu bekämpfen. Es ist viel leichter, aus dem Liegestuhl, vom Stammtisch und von der Bühne herab die Politik zu verurteilen, als selbst etwas zu bewegen. Übernehmen Sie Eigenverantwortung und schieben Sie nicht alles an einen fernen Staat, an die Politik ab. Das ist nämlich leider sehr „österreichisch“. Der Staat ist die Summe seiner Jedermänner und -frauen. Wir leben trotz allem in einem wunderbaren Land. Vorhang auf!“
Kommentare