Rezept gegen Trolle: Mehr Gelassenheit in Zeiten des Furors

Rezept gegen Trolle: Mehr Gelassenheit in Zeiten des Furors
Was man von der englischen Königin für die aktuelle Politik lernen kann – auch als überzeugter Demokrat und Nicht-Monarchist
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Seit 70 Jahren Queen, unbelievable, isn’t it? Wenn Sie erfahren wollen, wie es damals war, am 6. Februar 1952, als ihr Vater George VI. starb und sie selbst den Thron besteigen musste, schauen Sie sich „The Crown“ mit Claire Foy als Elizabeth II. an. Wahrscheinlich ist Vieles von dem erfunden, was der geniale Drehbuchautor Peter Morgan auf die Bildschirme bringt. Aber man bekommt einen Eindruck, in welchem goldenen Käfig die Königin lebt. Wie politische und familiäre Entwicklungen verlaufen, manchmal parallel, oft diametral. Und was Elizabeth, die gerade mit ihrem 14. Premierminister konfrontiert ist (sicher einer der mühsameren), auszeichnet: Gelassenheit, zumindest nach außen. Ist ja auch leichter, wenn man sich keinen Wahlen stellen muss.

Gelassenheit – ein großes Wort in einer Zeit, die sich wie keine zuvor (die Radikalisierungsschleuder Facebook etwa gibt es ja erst seit 18 Jahren) durch Erregtheit, durch Meinungsdiktate, durch eine Empörungsunkultur auszeichnet. Wie kann man als Politiker gelassen bleiben, wenn jede Wortmeldung, jede Handlung sofort auf Freund-Feind-Schemata trifft?

Werden zum Beispiel Sideletter zu Regierungsvereinbarungen publik, ist die eine Meinungsblase empört über die Schamlosigkeit der Akteure, die andere wiederum empört über die Empörung, weil es solche Sideletter seit Jahrzehnten gibt. Werden in Folge geheime Zusatzvereinbarungen für künftige Abkommen ausgeschlossen, ist es auch nicht recht, weil allzu populistisch. Was also soll ein Politiker tun? Richtig machen kann er jedenfalls nichts. Weil hinter jeder Tastatur ein potenzielles Rumpelstilzchen und der Beginn eines möglichen Shitstorms lauert.

Was auch immer passiert, es ist jemand dagegen. Um diesen Jemand versammeln sich weitere, manchmal Vernünftige, allzu oft Trolle. Und schon sind wir mitten in besagtem Zustand der Erregtheit, der zur neuen Normalität geworden ist.

Man kann nachvollziehen, dass sich Politiker, aber auch andere Berufsgruppen vor diesem Automatismus der Ablehnung fürchten. Aber ist es nicht eigentlich völlig egal, wenn es ein- oder mehrmals Gegenwind gibt? Wenn die Empörten wieder einmal völlig losgelöst agieren? Zielgerichtetes Handeln setzt geradezu voraus, nicht bei erster Gelegenheit einzuknicken. Und man möchte sich gar nicht ausmalen, wie Europa heute aussähe, hätte es vor 70 Jahren schon soziale Medien gegeben. Wie Themen wie Todesstrafe, Fristenlösung, Rechte für Homosexuelle etc. politisch behandelt worden wären, wären sie auf einer Facebook- oder Twitter-ähnlichen Trommel gelandet.

Während der Pandemie haben wir gelernt, wie rasch sich Furor ausbreitet. Was wir nicht gelernt haben, ist damit umzugehen, es fehlen die Werkzeuge. Vielleicht wäre es schon ein Anfang, auf manches gelassen (nicht) zu reagieren.

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