Pro und Contra: Braucht die Politik Protestparteien wie MFG?

Es war eine Überraschung mit Anlauf: In Oberösterreich reüssierten die Impfgegner MFG erstaunlich, in Graz übernahm die KPÖ gleich die Führung in der Stadt, und auch anderswo erfreuen sich Splittergruppen an den Rändern des Meinungsspektrums (oder in der radikalisierten MItte) großen Zulaufs. Aber welche Rolle können solche Parteien in der Politik dann wirklich spielen? Sind Stimmen an die Ein-Thema-Gruppierungen verschwendete Stimmen? Oder erfüllen diese einen Zweck, der der Demokratie sogar nützt?
PRO:
Natürlich ist es verlockend, Protestbewegungen wie die impf-skeptischen MFGler als peinliche Polit-Partisanen abzukanzeln – immerhin stellen sie bizarre Forderungen wie das „Recht auf ein analoges Leben“, und sie dokumentieren mit Rufen wie „Keine Kurzarbeit für Großkonzerne!“, dass sie realpolitisch über wenig bis gar keine Expertise verfügen.
Aber selbst wenn man – wie der Autor dieser Zeilen – die impfkritische Haltung der selbst ernannten Freiheitskämpfer ablehnt, darf man bei all dem eines nicht übersehen: Protestparteien erfüllen in unserer bisweilen trägen Parteien-Demokratie eine wesentliche Funktion: Sie zeigen den in Parlament und Regierung vertretenen Bewegungen – also wenn man so will „dem System“ – welche Themen, Anliegen und Strömungen zu wenig oder gar keine Beachtung finden.
Egal ob Piratenpartei, Team Stronach oder Liste Pilz: Sie alle waren Seismografen für gesellschaftliche Stimmungen und haben damit in Gemeinderäten, Landtagen und Parlament vielen Wählern Stimme und Sitz verliehen.
Bürger, die sich zu lange miss- oder gar nicht mehr verstanden fühlen, wenden sich ab von unserer Parteien-Demokratie. Und insofern erweisen Protestparteien dem politischen System einen wertvollen Dienst: Wie Blitzableiter schützen sie die Demokratie vor Schlimmerem, also vor anti-demokratischen oder autoritären Anwandlungen.
Stimmt schon: Klein- und Protestparteien machen es im Zweifel eher schwieriger, Mehrheiten zu finden, zu koalieren, zu regieren.
Aber das kann man mit Fug und Recht ja auch von der Welt behaupten. Sie ist komplexer und bunter geworden – warum sollte sich das nicht auch im politischen System widerspiegeln?
Christian Böhmer Der Autor ist langjähriges Mitglied des Innenpolitik-Teams im KURIER.
CONTRA:
Einer gefestigten Demokratie werden bis dato unbedeutende Parteien wie die MFG keinen nennbaren Schaden zufügen. Was aber sehr wohl passiert: Sie bekommen Plattformen, Präsenzen und Auftritte mit einer Öffentlichkeitswirksamkeit, die Schwindelgefühle erzeugt. Das Rad wurde am Sonntagabend angestoßen – und rennt und rennt und rennt. Ziel: Ungewiss.
Niemand hat mit dem Einzug der Impfskeptiker-Partei, die noch nicht mal über eine offizielle Zentrale verfügt, in den oberösterreichischen Landtag gerechnet. Und doch haben die Menschen in diesem Bundesland, speziell im Innviertel, so entschieden. Das ist zu respektieren. Der schwarze Peter ist eher jenen Parteien zuzuschreiben, die es trotz riesigem Wahlkampfbudget, einer jahrelang gewachsenen Struktur und einer funktionierenden Logistik im Hintergrund nicht geschafft haben, zu beruhigen, sachlich aufzuklären und zu überzeugen.
Das Szenario der kommenden sechs Jahre ist schnell gezeichnet: Das Hauptthema der MFG – die Corona-Krise, der damit angeblich verbundene Impfzwang und die Gefährdung der Grundrechte – dürfte sich in ein bis zwei Jahren selbstständig in Luft auflösen. Was dann? Dann fließt weiterhin Steuergeld in die Kassen einer Partei, die Frauen lieber wieder daheim bei den Kindern statt in Berufen sehen würde.
MFG-Politiker pochen lautstark auf das Recht der Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Dabei ignorieren sie das allerhöchste Gut – Leben und Gesundheit der Mehrheitsbevölkerung und vulnerabler Gruppen. In einer funktionierenden Demokratie brauchen wir starke Oppositionsparteien – aber solche, die Wissenschaft und Forschung als tragende Größen unserer Gesellschaft anerkennen. Alles andere ist Zeit-, Ressourcen- und Steuergeldverschwendung.
Claudia Stelzel-Pröll Die Autorin ist Linzerin und schreibt für den OÖ-KURIER
Kommentare