Radikale Vernunft statt radikaler Töne

Radikale Vernunft statt radikaler Töne
Politischer Streit und das ungelöste Thema Migration führen in ganz Europa zu einem Rechtsruck.
Martina Salomon

Martina Salomon

Während sich das Land im kollektiven Black-Friday-Cyber-Monday-Kaufrausch-Gansl-und-Punsch-Taumel befindet, verschiebt sich eine politische Grenze: Rechtsaußenparteien sind europaweit im Vormarsch. Man erinnere sich an die Hysterie samt lächerlichem Sanktionsgetöse, als Wolfgang Schüssel mit der FPÖ eine Regierung bildete. Jetzt gewinnen weit rabiatere Populisten als Jörg Haider Wahlen: etwa gerade Geert Wilders in den Niederlanden. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg könnte nächstes Jahr die AfD Nummer eins werden und erstmals einen Ministerpräsidenten stellen. In Italien regiert die Rechtsnationale Giorgia Meloni erstaunlich moderat. Und selbst bei den besonnenen Schweizern gab es kürzlich einen kleinen Rechtsruck bei der Parlamentswahl. Große Teile der europäischen Bevölkerung haben die Geduld mit ihren Regierenden verloren. Sie wollen einen Stopp der Armutszuwanderung aus afrikanischen bzw. islamischen Ländern. Also einfache Lösungen, die im derzeitigen Rechtsrahmen gar nicht möglich sind. Und das politische Gezänke geht allen auf die Nerven.

In Österreich ist das besonders schlimm, hier wurde sogar ein (letztlich alle zerstörender) Feldzug zuerst gegen die FPÖ, jetzt gegen die ÖVP geführt – mit gesetzlich oft durchaus unlauteren Mitteln wie versteckten Bild- und Tonaufnahmen. Bis zur Nationalratswahl werden wir hauptsächlich mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigt sein: mit der Ära Sebastian Kurz insgesamt, den Casinos- und ÖBAG-Besetzungen, der Covid-Finanzierungsagentur (COFAG), dem Fall Pilnacek, den Problemen des Signa-Konzerns und dessen möglicher Verwicklung mit der Politik sowie dem „rot-blauen Sumpf“, den die ÖVP durchleuchten will, beginnend mit der Gusenbauer-Ära. Der Justiz geraten sicher noch ein paar Zufallsfunde in die Hände. Es wirkt sogar so, als würde gezielt danach getrachtet, irgendwem ein Handy abzunehmen und irgendetwas (das mit einem „Anfangsverdacht“ nichts zu tun hat) zu finden.

Nun ist politischer Wechsel in einer Demokratie ja normal und wünschenswert. Doch auch die einst staatstragende SPÖ befindet sich in einem irrlichternden Zustand. Lachender „Dritter“ ist die FPÖ, die inhaltlich keine ernsthaften Alternativen bietet. Sie leidet ebenfalls unter parteiinternen Spannungen, die sie aussitzt und -schweigt.

2024 wird Schwarz oder Rot mit Blau regieren, oder es kommt eine Drei-Parteien-Koalition. Die abgebrochenen Brücken müssen dann auf jeden Fall wieder aufgebaut werden. Radikale Vernunft wäre daher besser als der jetzt herrschende radikale Ton. Auch der abgerissene Gesprächsfaden zu Herbert Kickl sollte rechtzeitig wieder aufgenommen werden, so schwierig das ist. Ausgrenzen funktioniert nirgendwo mehr in Europa (und auch nicht in den USA).

Martina Salomon

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon

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