Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?

Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Reden wir heute vom Glauben, denken wir nicht zwingend an Gott. Das Netz ist die neue Kanzel.
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Haben Sie, sofern evangelisch, rechtzeitig Ihren persönlichen Kar-Feiertag beantragt? Sind Ihrem Arbeitgeber, falls Sie römisch-katholisch, jüdisch, muslimisch oder was auch immer sind, Ihre religiös motivierten Abwesenheiten schon bekannt? Oder haben sich angesichts der wochenlang geführten Karfreitag-Debatte auch nur noch gefragt, ob wir keine anderen Probleme haben?

Wenn uns die Religion wirklich so wichtig ist, wie zuletzt von ein paar Aktivisten und politischen Vertretern vermittelt, dann müssten die evangelischen Kirchen am Freitag aus allen Nähten platzen. Wetten, dass sie das nicht tun?

Religion ist heute meist nur ein Platzhalter für andere, nicht stattfindende Debatten, für politisches Hickhack. Und sie wird oft missbraucht für Ideologien, die der Glaubenslehre sehr fern sind. Wer sich etwa im stark katholisch geprägten Österreich von syrischen Migranten abgrenzt – grenzt der sich von syrischen Staatsbürgern ab? Oder wurden nicht die syrischen Moslems im Land zum Politikum gemacht?

Auch in punkto Toleranz hört es sich beim Glauben auf. Wir leben in einer Gesellschaft, die kreative Formen des Zusammenlebens, sogar alle Spielarten der Sexualität, zumindest vordergründig toleriert – bei der Religion ist aber Schluss damit. Zu viele verschleierte Frauen mit dazugehörigen Männern in der Nachbarschaft: Da läuten die Alarmglocken.

Das hat freilich mit Fragen der Aufklärung, mit unserem Kulturkreis, mit fehlender Integration zu tun. Dennoch ist Religion nach wie vor etwas Archaisches. Auch wenn sich die wenigsten zu ihr bekennen.

Diesseits und Jenseitiges

Wenn wir heute vom Glauben reden, denken wir nicht primär an Gott oder eine höhere Kraft. Wahrscheinlich deshalb, weil es uns nach wie vor sehr gut geht. Wir haben die Kathedralen des Glaubens verlegt. Wir glauben an alles Mögliche: an gesunde Ernährung oder an das nicht gesundheitsschädigende Schnitzel; an Veganismus oder daran, dass das mit der Tierhaltung eh nicht so schlimm ist; an Homöopathie oder an Impfpflicht; an glückliches Leben auf dem Land oder an kulturelle Vielfalt in der Stadt; an diese Regierung oder an die noch kommende Zeit für die Opposition; an die Wirtschaft oder an den Verzicht; an Fortschritt oder an das Zurück zum Ursprung.

Die ganze Welt, im Diesseits und im virtuellen Raum (der oft jenseitig ist), ist voller Glauben. Radikal formuliert, ohne Bereitschaft zum Kompromiss. Wir sind die Kreuzritter unserer Überzeugungen. Aber fragen Sie bei einer ersten Begegnung jemanden, ob er an Gott glaubt. Er wird sie verstört anschauen und für einen durchgeknallten Missionar halten.

Glauben heißt, nicht zu wissen. Das haben wir schon als Kinder gehört. Vielleicht glauben wir heute auch, dass wir zu viel zu wissen. Für Fragen bleibt kein Raum mehr. Eine schöne „Heilige Woche“ jedenfalls, ohne Anspruch auf letzte Erkenntnisse.

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