Narben, über die keiner spricht

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Bei der Regierungsklausur gäbe es noch größere Fragen zu diskutieren als die, ob 450 Euro für einen Arbeitslosen „blanker Hohn“ sind.
Christian Böhmer

Christian Böhmer

Nun packen ÖVP und Grüne bei der Krisenbewältigung also noch einmal richtig was drauf: Für Familien soll es einmalig 360 Euro pro Kind und Jahr aufs Konto geben, Arbeitslosen winkt eine Einmalzahlung, und wer so wenig verdient, dass er gar keine Lohnsteuer bezahlt, bekommt hundert Euro „Negativsteuer“.

Die Details zu den diversen Sonder- und Hilfszahlungen folgen ab heute, Montag, bei der Regierungsklausur. Und natürlich kann man die geplante 450-Euro-Einmalzahlung vom AMS als „erbärmliche Pflanzerei“ abtun, wie das SPÖ und FPÖ für richtig halten.

Im Furor über vermeintliche und echte Unzulänglichkeiten bei den Hilfszahlungen wird eine vitale Frage gern vergessen: Wie geht es eigentlich den Jungen? Und damit ist nicht allein gemeint, dass sie im Sommer in sehr vielen Fällen ohne Sommerjob dastehen (mehr dazu hier).

Was Grund- und Pflichtschüler angeht, vermittelt die Regierung bisweilen ja den Eindruck, die Krise sei geschafft, die Schulen im Normalbetrieb.

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: An den Schulen herrscht weiterhin Ausnahmezustand, nach wie vor müssen Eltern zu Hause arbeiten und unterrichten. Und wer aktuelle Papiere von Bildungswissenschaftern und Think Tanks nur überfliegt, weiß: Sommerferien und „Homeschooling“ werden endgültig dafür sorgen, dass besser situierte Kinder ihre Alterskollegen aus bildungsfernen Familien abhängen. Zwei Wochen „Sommerschule“ können das kaum ausgleichen.

Noch banger sollte einem um die 16- bis 29-Jährigen sein: Seit Wochen warnen Weltblätter wie die New York Times oder die Neue Zürcher Zeitung, dass die Pandemie die Jugend besonders hart trifft. Als Beleg gilt dem liberal-bürgerlichen Schweizer Blatt unter anderem eine im April veröffentlichte Jugendwertestudie aus Österreich: Jeder zweite 16- bis 29-Jährige rechnet mit einer Verschlechterung seiner Zukunftschancen.

Nun sind Umfragen bloß Momentaufnahmen. Aber es gilt als belegt, dass die Karriere von jungen Menschen besonders leidet, wenn diese mitten in einer Krise in den Arbeitsmarkt drängen. „Scarring“ (von Narben) nennen Experten das. Betroffene werden öfter arbeitslos und müssen jahrelang mit geringeren Löhnen leben. Laut Internationalem Währungsfonds sorgt die „Theorie der bleibenden Narben“ dafür, dass Menschen zwischen 18 und 25 den Glauben verlieren, Fleiß verhelfe noch zu einer Karriere.

Will man vor der Regierungsklausur also etwas bemängeln, dann eher, dass die Regierung bei den Krisenhilfen für die Jungen noch zu wenig Fantasie und Mut entfaltet.

Die Frage, ob 450 Euro vom AMS „blanker Hohn“ sind, darf und soll natürlich weiter gestellt werden. Im Vergleich dazu, dass möglicherweise gerade einer ganzen Generation der Glaube an die eigene Zukunft abhanden kommt, wirkt sie aber irgendwie klein – ja vielleicht sogar kleinlich.

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