Nach Putin wird’s schlimmer? Nein!

Wer dieser Tage russisches Fernsehen sieht, den überkommt das kalte Grauen. Aber selbst wenn Putins Propagandisten dort den Tod ukrainischer Kinder so begeistert bejubeln wie den Sieg der Lieblingsfußballmannschaft, wenn das „Aushungern Europas“ so nüchtern verlangt wird wie ein Essen im Restaurant, beschleicht hierzulande dennoch viele eine Angst: Vielleicht ist Putin noch das geringste aller Übel? Wird alles nur noch schlimmer, wenn er stürzt?
Was klar ist: Der „Woschd“, der „Führer“, wie er sich nennen lässt, ist zur Geisel seiner Günstlinge geworden. 22 Jahre lang hat er einen Apparat aus kleptokratischen Eliten und Geheimdienstlern geschaffen, die das Land fest im Griff hatten – für ihn. Jetzt, da die Erfolge auf dem Schlachtfeld ausbleiben, ließ er sich von ihnen zu Schnellschüssen treiben: Die Mobilisierung, bei der sich die Soldaten ihre Schutzausrüstung um viel Geld am Schwarzmarkt organisieren müssen, wird ihn den Krieg nicht gewinnen lassen. Sie schafft sogar Verdruss in der sonst stummen Bevölkerung, und die „Falken“ werden von ihm immer mehr verlangen, was die Armee nicht leisten kann.
Putins Parallelwelt hat sich gegen ihn gekehrt. Was ihm bleibt? Die Eskalation, ob konventionell oder atomar – nicht umsonst droht Moskau mit dem Atomknopf. Oder der Rückzug. Beides wird Putin auf lange Frist nicht das Überleben sichern: Zünden die Russen eine taktische Atombombe, wird das die Ukraine nicht komplett brechen, der Krieg wäre nicht vorbei. Zieht er seine Truppen zurück, kann er das kaum als Sieg verkaufen.
Was wir erleben, ist also tatsächlich der Niedergang des Systems Putin. Und das ist – allen Befürchtungen zum Trotz – etwas Gutes. Denn alles, was danach kommt, ist besser als der Status quo: Dass einer von Putins Günstlingen ihm lautlos nachfolgt, ist für russische Experten ausgeschlossen; niemand hat genügend Rückhalt in den Eliten – die sind dank Putin zu zerstritten. Dazu kommt: Wohl kein neuer Kremlherrscher, ob Hardliner oder Reformer, würde den Krieg so fortsetzen oder gar eskalieren. Dafür sind auch die Russen zu zermürbt, und die Reserven sind nicht mehr vorhanden.
Chaos, Machtkämpfe, Unsicherheit, aber auch ein Ringen um echte Demokratie – das ist es, was auf Russland und auf uns wartet. Das macht hierzulande Angst, weil es an die Chaosjahre samt vom Westen befeuertem Raubtierkapitalismus nach 1991 erinnert, die Putin ja erst ermöglichten. Doch das muss sich nicht wiederholen: Viele Russen selbst wollen, was Putin ihnen eigentlich mal versprochen hatte – eine wirklich bessere Zukunft, nicht nur eine Propagandashow. Dass vier Millionen seit Kriegsbeginn das Land verlassen haben, zeigt das.
Langfristig ist das für Russen, Ukrainer und auch den Westen die beste Option: ein Russland ohne Putin, das zwar sich selbst sucht, aber irgendwann auch findet.

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