Migration: Aufwachen aus rosaroten Träumen

Deutschkurs, Flüchtlinge, Ute Bock Haus
In der EU dreht sich der Wind. Moralisieren statt differenzieren hat rechten Parteien den Aufstieg geebnet.
Martina Salomon

Martina Salomon

Im Vorjahr gab es 218.000 Asylanträge in Deutschland. Im zehnmal kleineren Österreich waren es (relativ) fünf Mal mehr: 109.000. Fraglos eine große Belastung. Aber was wurden zuerst Sebastian Kurz (der Gottseibeiuns von Austro-Twitter) und dann Karl Nehammer für ihre politischen Forderungen in der EU geschmäht. Nun dreht sich der Wind in Europa nach den Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien in Italien, Schweden und Finnland. Seit geraumer Zeit schon verfolgen die dänischen Sozialdemokraten einen strikten Migrationskurs. Das ist leichter als in Österreich, muss sich Dänemark doch dank einer Opt-out-Klausel nicht an EU-Migrationsrichtlinien halten.

Im einstigen liberalen Vorzeigeland Schweden haben Bandenschlachten die Politik von der rosaroten Wolke heruntergeholt. In Deutschland sprach die Innenministerin nach einem Flüchtlingsgipfel diese Woche Themen an, die noch vor Kurzem für eine rot-grüne Regierung tabu gewesen wären: verstärkte Grenzkontrollen, weil der EU-Außengrenzschutz nicht funktioniere, sowie konsequente Rückführung abgelehnter Asylwerber, wofür Migrationsabkommen mit Herkunftsstaaten geschlossen werden müssen. In dieser Mission war kürzlich auch Nehammer (verhöhnt von der Opposition) in Afrika unterwegs. Wobei es bei seiner Reise nicht nur um die Rückführung von Personen ohne Bleiberecht ging, sondern auch um das Rekrutieren von Arbeitswilligen. Erfolgreiche Zuwanderungsländer wie Australien und Kanada suchen ja schon seit Langem auf der ganzen Welt nach den Besten. Europa hechelt hinterher und wurde in den vergangenen Jahren zur Welt-Wohltätigkeitsorganisation. So müssen 70 Prozent der anerkannten Asylwerber in Österreich erst alphabetisiert werden. Kein Wunder, dass die Armut zumindest gefühlt zunimmt. Dagegen helfen allerdings weder Enteignungsfantasien, noch eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, noch ein Wahl-Kreuzerl bei der KPÖ, noch Sozialpopulismus der Regierung.

Und in Wahrheit auch kein Moralisieren. Dieser Tage gab es Applaus der Kreuzritter gegen Schwarz-Blau für einen Auftritt des Talkmasters und Philosophen Michel Friedman im Parlament, der in scharfen Worten die „Anti-Demokraten“ geißelte. Daran war schon einiges wahr, aber es ist illusorisch, ein Umdenken mit schulmeisterlichem Pathos gegen „Falschdenker“ erzwingen zu können. Das funktioniert weder bei Impfzweiflern, noch bei den Kritikern der Ausländerpolitik und schon gar nicht bei der Anhängerschaft der blauen Rabiatperle Kickl. Aber offenbar leben wir in einer Zeit, in der Differenzieren nur noch etwas für „Warmduscher“ und das Megafon das Mittel der Wahl ist. Zumindest wird nun das Migrationsthema realistischer angesprochen, dessen Tabuisierung den Aufstieg der Rechten ebnete.

Martina Salomon

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon

Kommentare