So what? Und warum findet das überhaupt den Weg an die Öffentlichkeit? Offensichtlich, weil jemand damit rechnet, dass das der Betroffenen schaden könnte. Dass so etwas verfangen könnte, sagt freilich einiges darüber aus, was wir an Überzogenem und Widersprüchlichem auf Politiker projizieren. Menschen wie du und ich sollen sie sein, nur ja nicht zu viel verdienen, keinerlei Privilegien in Anspruch nehmen – einerseits; andererseits aber alles richten, alle Unbill von Land und Leuten fernhalten.
Der Fall Marin erinnert an Boris Johnsons Partygate. Gewiss, der – nicht unerhebliche – Unterschied besteht darin, dass der britische Premier offensichtlich gegen geltende Coronaregeln verstoßen hat. Und dass sich Johnson auch sonst immer wieder, vorsichtig formuliert: schlitzohrig verhalten hat. Demgegenüber steht freilich, dass er zweifellos leadership und politisches Format (etwa in Sachen Ukraine oder Migration) gezeigt hat. Was aber ist für einen Spitzenpolitiker wichtiger?
Sebastian Kurz musste letztlich gehen, weil – ebenfalls nicht für die Öffentlichkeit bestimmte – Chatnachrichten eine Lawine auslösten, aus der es zuletzt politisch kein Entkommen mehr gab. Auch dieser Fall ist wiederum anders gelagert – sowohl als jener Johnsons, als auch jener Marins. Aber gemeinsam ist allen Fällen, dass sie für ein verzerrtes Bild von Politik stehen, für eine gewaltige Schieflage im Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit, für eine problematische Gewichtung in der öffentlichen/medialen Wahrnehmung.
Das alles wird tendenziell dazu führen, dass immer weniger hoch qualifizierte Menschen bereit sein werden, in die Politik zu gehen – weil sie wenig Lust verspüren, für ein vergleichsweise bescheidenes Gehalt ständig im grellen Licht der Öffentlichkeit zu stehen und sich permanent vermeintliche wie tatsächliche Verfehlungen um die Ohren hauen zu lassen.
Bundeskanzler Karl Nehammer hat diesen Sommer angesichts der Krisenlage seinen Sommerurlaub in Griechenland abgesagt. Eine eigentlich völlig bizarre Entscheidung, möchte man meinen. Aber wahrscheinlich hat er damit – anders als die lebensfrohe Marin – einen Nerv getroffen. Und das ist keine gute Nachricht.
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