Die Paradoxie des Christentums
Vor 1.700 Jahren fand das Konzil von Nicäa (heute İznik, Türkei) statt – das erste von nach katholischer Zählung 21 Konzilien. Das ist kein bloß kirchenhistorisch relevanter Verweis auf ein sehr lange zurückliegendes Ereignis. Vielmehr wurde damals, im Jahr 325, im Grunde festgelegt, was auch heute noch den Kern des Glaubensbekenntnisses aller christlichen Konfessionen ausmacht: dass Jesus Christus Gott und Mensch zugleich ist. Damit sind wir freilich beim zentralen Inhalt des Weihnachtsfestes – der Menschwerdung Gottes.
Das zu verstehen, ist zugegebenermaßen auch für gläubige Christen nicht ganz leicht. Aber es ist, wie es der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch einmal ausgedrückt hat, „zweifellos das größte Geheimnis, das der christliche Glaube kennt und bekennt“. Es ist, wenn man so will, die Grundparadoxie des christlichen Glaubens, die sich in vielen anderen Paradoxien abbildet: Christus als „König“, der gerade nicht wie ein weltlicher Herrscher auftritt; das Provinznest Bethlehem als der Geburtsort des sehnlich erwarteten Messias und „Retters der Welt“ und dergleichen mehr. Paulus, die Schlüsselgestalt der jungen Kirche, bringt es dann in der ihm eigenen unnachahmlichen Prägnanz so auf den Punkt: „denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2 Kor 12,10).
Schwäche und Stärke
Dieser Gedanke – dass in der Schwäche die eigentliche Stärke liege – wird in den gegenwärtigen Debatten über geistig-kulturelle Identität oft gegen (tatsächliche wie vermeintliche) kulturkämpferische Positionierungen in Stellung gebracht. Es hieße freilich Paulus zu schnell zu verstehen, wollte man diese Spannung zwischen Schwäche und Stärke einseitig in Richtung Schwäche auflösen. Sein ganzes Leben bezeugt das Gegenteil: Ohne seinen rastlosen Einsatz quer durch den Mittelmeerraum, das unbeugsame Eintreten für seine Sache, die Verkündigung des Evangeliums, gelegen oder ungelegen, wie Paulus selbst einmal schreibt, wäre das Christentum nicht geworden, was es ist.
Auch heute, da Christen weltweit – wenn auch in sehr unterschiedlicher Art und Weise – Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt sind, kann man den Kirchen nur etwas von diesem paulinischen Feuer wünschen: Ohne Mut und Willen zu einer recht verstandenen Selbstbehauptung wird es nicht gehen, wird das Christentum jedenfalls in Europa weiter an Strahlkraft verlieren. Was der agnostische Philosoph Albert Camus 1946 vor Dominikanern in Paris formulierte, gilt heute mindestens ebenso sehr: „Unsere heutige Welt erwartet von den Christen, dass sie auch künftig Christen bleiben.“ Wenn der innere Glutkern erlischt, ist letztlich auch unsere christliche Prägung und Kultur nicht zu retten.
Kommentare