Doch ehe wir näher auf die beiden Reden eingehen, noch zwei Vorbemerkungen: Hochachtung vor Karl Nehammer, wie konsequent er nach dem Scheitern seiner Verhandlungen agierte, um ein Wahlversprechen (keine Koalition mit Kickl) zu halten. Es heißt immer, in Österreich gebe es keine Rücktrittskultur, Nehammer ist eine Ausnahme.
Und, in Richtung SPÖ: Wäre man damals beim Parteitag nicht draufgekommen, dass man sich verzählt hat, wäre also Hans Peter Doskozil Parteichef geworden, hätten wir eine völlig andere Situation. Doskozil hätte Kickl ein paar Prozent weggenommen, wer weiß, wer dann Erster geworden wäre – und Doskozil hätte sich Gesprächen mit allen Parteien nicht verschlossen. Das Machtgefüge wäre ein anderes.
So aber verhandeln nun zwei Parteien, die sich zwar in vielem einig sind (Migration, keine neuen Steuern, Sparen beim ORF, Gendern etc.), dennoch vor allem Gegensätze betonen. Sollte es zu dieser Koalition kommen, so ließen die ersten Auftritte erahnen, wie es laufen dürfte: Kickl als angriffiger, gekränkter, stets Oppositionspolitik machender, Drohungen in den Raum stellender Kanzler mit klaren Freund-Feind-Schemata. Und Stocker als ständig unter Reaktionszwang stehender, kalmierender, auf übergeordnete Werte pochender Widerpart. Zwei Typen, die eine völlig andere Sprache sprechen und die freiwillig nie einen Abend miteinander verbrächten.
Wie Kickl die Einladung zum Gespräch formulierte, war so, dass man am liebsten gleich absagen würde: Ich rede halt mit dir, aber eigentlich bist du mir genauso zuwider wie deine ganze Truppe; außerdem rede ich nur, solange du tust, was ich will. Dass Stocker das Angebot nicht ausschlug, in seiner Replik aber rote Linien formulierte und auch kritische Fragen einforderte, zeugt von hoher Schmerzgrenze, aber auch von jenem Anstand, der hoffen lässt, dass ein allmächtiger „Volkskanzler“ zum Glück noch keine ausgemachte Sache ist.
Wahlen können nie eine Drohung sein, sagte Stocker in Hinblick auf einen möglichen neuen Urnengang. Man möchte ergänzen: Das Ergebnis für die ÖVP wäre vielleicht übel, aber nicht übler als am Ende einer Koalition mit Kickl. Und wer weiß, welche Optionen es nach Spielerwechseln gäbe.
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