Der Papst als Grenzgänger

Die Bilder erinnerten an jene von vor 20 Jahren: Damals, am Ostersonntag 2005, spendete der todkranke Johannes Paul II. von seiner Wohnung im Apostolischen Palast den Segen „Urbi et orbi“. Die Worte konnte er nicht mehr sprechen – mit seiner Hand deutete er die Segensgeste an. Drei Tage später war er ein letztes Mal am Fenster zu sehen, am Samstag nach Ostern verstarb der Jahrhundertpontifex. An diesem Ostersonntag wurde Papst Franziskus im Rollstuhl auf die Benediktionsloggia des Petersdoms geschoben: Mit schwacher Stimme sprach er den apostolischen Segen und wünschte frohe Ostern. Es war das letzte Mal, dass ihn die Weltöffentlichkeit sehen sollte.
Die Parallelen sind nicht nur äußerlich: Beide Päpste waren – bei aller Unterschiedlichkeit – von ihrer geistlichen Mission überzeugt und davon, dass diese bis zum letzten Atemzug durchzuhalten sei. In diesem Selbstverständnis waren Johannes Paul und Franziskus einander ähnlicher als dem eminenten Intellektuellen und Theologen Benedikt XVI. Auch Franziskus war nicht nur der Nachfolger auf dem Stuhle Petri – sondern wie der große Pole ein Nachfolger des Paulus, des rastlosen Gottesmannes, der geografisch, geistlich und auch persönlich an die Grenzen ging. Und der von sich sagte, er sei nicht dazu da, „glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen, sondern um euch das Zeugnis Gottes“ und „Christus als den Gekreuzigten“ zu verkündigen.
In vielem wirkte Franziskus unentschlossen. Was ihn aber antrieb, war die tiefe Überzeugung, dass die Kirche steter Erneuerung bedarf und die bloße Tradierung des Überkommenen, so wertvoll und wichtig dies auch ist, nicht genügt. Vor allem aber die Gewissheit, dass die Kirche sich selbst nicht genügen kann und kein Selbstzweck ist. Und dass sich die der Kirche anvertraute überzeitliche und unaufgebbare Glaubenswahrheit im jeweiligen Hier und Heute bewahrheiten muss.
Vor diesem Hintergrund stieß Franziskus nicht nur manche Konservative vor den Kopf, sondern ließ auch gerade seine größten Anhänger enttäuscht zurück. Mit den vor allem in Europa und hier wieder insbesondere im deutschen Sprachraum dominierenden Vorstellungen von Kirchenreform (wie sie in pointiertester Form der deutsche „synodale Weg“ vorantreiben wollte) hatte er wenig am Hut. Franziskus habe „einen anderen Begriff von Reform“ gehabt, „der über Strukturfragen hinausging und die verschütteten Quellen eines christlichen Lebensstils neu freilegen wollte“, schreibt der Theologe Jan-Heiner Tück auf communio.de. Diese Aufgabe wird auch für den Nachfolger des Franziskus die zentrale Herausforderung sein. Und sie ist gerade in einem Europa, welches diese Quellen weitgehend vergessen oder verdrängt hat, in ganz besonderer Weise von existenzieller Dringlichkeit.
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