Wir und das „System“

Eisberg voraus: Im Frühling schmilzt das meiste Eis rund um Spitzbergen und ermöglicht faszinierende Naturschauspiele
Eine knappe Mehrheit ist laut KURIER-OGM-Umfrage dafür, „noch mehr im System“ zu sparen. Das klingt recht erfreulich, weil es Realitätsnähe der Befragten signalisiert. Freilich ist bei solchen Formulierungen stets Vorsicht geboten. Allzugroß (und -menschlich) ist nämlich die Versuchung, sich selbst dabei nicht mit zu meinen: Das „System“, das sind immer die anderen – die, die sich’s bekanntlich richten, die Profiteure (von was auch immer) und dergleichen mehr.
Immerhin sind aber knapp 45 Prozent explizit für einen harten Sanierungskurs – in den Worten von OGM-Chef Wolfgang Bachmayer „für eine Rosskur, die mit unpopulären Einschnitten wehtut, aber zur wirtschaftlichen Gesundung führt“. Das ist freilich etwas, das zu verkünden die meisten Politiker scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Viel lieber sagen sie – quer durch die Parteien – dass „niemandem etwas weggenommen werden soll“. Hierbei handelt es sich um ein strukturelles Dilemma der repräsentativen Demokratie. Nur wirkliche Staatsmänner oder -frauen überwinden dieses.
Klar ist freilich, dass eine solche „Rosskur“ – ungeachtet der Befindlichkeiten von Politikern wie Bevölkerung – früher oder später ohnedies unvermeidbar sein wird. Die Zeichen an der Wand verheißen für Österreich und darüber hinaus für die anderen europäischen Wohlstandszonen nichts Gutes. Geopolitische und -ökonomische Verwerfungen, die demografischen Entwicklungen, dazu noch eine Grundstimmung, die sich mit Müdigkeit, Saturiertheit, Selbstvergessenheit umschreiben lässt – all dies ergibt eine Gemengelage, die wenig hoffnungsfroh stimmt (wobei es hier natürlich Wechselwirkungen gibt).
„Noch immer wird auf der Titanic unbesorgt getanzt. Den bedrohlichen Eisberg will man nicht wahrnehmen“, schreibt der Sozial- und Wirtschaftsphilosoph sowie katholische Priester Martin Rhonheimer in seinem aktuellen Newsletter (er ist Präsident des Thinktanks Austrian Institute).
Vielleicht aber gibt es auch Grund zur Hoffnung: „dass nämlich Europa endlich von seinen Sozial- und Wohlstandsträumen aufwacht und zu neuer Ernsthaftigkeit findet“, wie Rhonheimer schreibt. Eine solche Ernsthaftigkeit – die durchaus „wehtun“ (Bachmayer) könnte – müsste sich in ökonomischen, technologischen, sicherheitspolitischen Fragen manifestieren, aber auch im Bereich des Geistig-Kulturellen.
Es ginge um eine Priorisierung von (Eigen-)Verantwortung und pragmatischem Selbstbewusstsein, das sich dem schleichenden Niedergang entgegenstellt. Im Sinne der Erkenntnis, dass das „System“ eben nicht die anderen, sondern wir alle sind.
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