Gewiss, Wahlversprechen sind schon oft gebrochen worden. Aber selten noch war ein Kanzlerkandidat dermaßen zerrupft, ehe er überhaupt das Kanzleramt von innen gesehen hat. Nach der Wahl dermaßen diametral zur im Wahlkampf eingenommenen Positionierung zu agieren, das hat schon Seltenheitswert. Und wie gesagt: die Mühen der Ebene des Regierungsalltags kommen ja erst …
Nun könnte man sagen, das sei das Problem von Merz und der CDU bzw. den Unionsparteien. Aber das greift zu kurz. Demokratie lebt vom Wechsel, vom Angebot mehrerer Optionen, vom Vorhandensein einer Alternative zur jeweils vorherrschenden politischen Linie. Genau damit hat auch Friedrich Merz geworben und im Lauf der Jahre nicht wenige überzeugt: dass er für einen Politikwandel stehe, für einen Kurswechsel innerhalb der Union wie auch des gesamten Landes: weg von einer entkernten, sanft sozialdemokratisierten Merkel-CDU, weg von der insgesamt (trotz mancher – letztlich freilich erfolgloser – FDP-Bemühungen) linksliberalen Ampel.
So wurde Merz zum liberalkonservativen Hoffnungsträger für viele – was sich nicht zuletzt im Bundestagswahlergebnis niederschlug. Doch die auf ihn und eine von ihm geführte Bundesregierung projizierten Hoffnungen seien „im Grunde pulverisiert“, meint etwa der Zeithistoriker und CDU-Vordenker Andreas Rödder in der Welt: „Wenn man das, was man vorher für falsch gehalten hat, dann auf einmal selbst betreibt, dann liegt es auf der Hand, dass man damit ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommt.“
Das größere, demokratiepolitisch höchst relevante Problem besteht indes darin, dass die Menschen das Gefühl bekommen: egal, was sie wählen, es kommt immer dasselbe heraus – eine tendenziell rot-grüne Politik, welche dann aus immer zu findenden Gründen als „alternativlos“ verkauft wird. Aber diese behauptete Alternativlosigkeit wird immer weniger akzeptiert, immer mehr wird diese als Instrument zur Absicherung der eigenen Macht gesehen.
Das ist dann der Nährboden, auf dem zunächst Skepsis und Misstrauen gegenüber dem demokratischen System, später bei manchen auch Zorn und Wut gedeihen. Und die Wahlerfolge jener Parteien, die sich als „Alternative“ bezeichnen, in Wahrheit aber zumindest fragwürdig sind – nicht nur in Deutschland.
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