Zahlenspiele und harte Fakten: Europas unehrliche Klimaziele

Ein Kernkraftwerk spiegelt sich in einem See unter blauem Himmel.
Europa verschreibt sich neue Klimaziele und hüllt dabei seine Ratlosigkeit in Kürzel und Zahlen – an der Realität aber kommt man nicht vorbei.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Selbst erfahrene Brüsselianer, die den Umgang mit großen Zahlen und vielen Kürzeln gewohnt sind, haben sich mit dem jüngsten Gezerre um die Klimaziele schwergetan. Es schien, als würden die EU-Institutionen wachsende Ratlosigkeit mit immer mehr Fachlatein umhüllen. So konnte man mit diesen Zahlen und Kürzeln Pingpong spielen und der eigentlichen Debatte ausweichen. Denn die ist zweifellos schmerzhaft für die Betroffenen - und das sind wir alle.

Das Urteil der Wissenschaft ist eindeutig: Der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen muss radikal reduziert werden. Doch diese Reduktion ist nicht umsonst zu haben: Sie ist eine Belastung für unsere Wirtschaft und wird uns Wohlstand kosten. In einem globalen Umfeld, in dem die wirtschaftlichen Gegenspieler USA und China mit billiger Energie um sich schmeißen können , kann Europas Stahl- oder Chemieindustrie nicht mithalten. Dass man aus diesem Dilemma mit dem Ausbau nachhaltiger Energiequellen herauswachsen könnte, ist eine Illusion. China etwa baut seine grüne Energiewirtschaft in einem Tempo aus, von dem man in Europa nur träumen kann, lässt aber zugleich seine kohlebefeuerten Schlote ungebremst rauchen, um mit billigen Industriegütern die Märkte zu überrollen. Dass ein privater Bahnbetreiber chinesische Züge durch Österreich rollen lässt, weil sie billiger und schneller lieferbar sind, ist kein Einzelfall, sondern Symptom einer chronischen Schwäche unserer Industrie. Die scheint ja gerade erst bemerkt zu haben, dass die Klimavorgaben, die ihr die EU zugemutet hat Geld kosten. Dass Gratiszertifikate für den Ausstoß von CO2 eines Tages nicht mehr gratis sein würden, war lange klar - und wurde ebenso lange ignoriert. Zu spät, aber dafür umso lauter schreien die Unternehmer in Brüssel Foul.

Man hat die Klimadebatte mit sehr vielen Kürzeln und sehr unehrlich geführt. Jetzt ist es zum Debattieren fast zu spät. Die Industrie braucht jetzt billige Energie und sie braucht den Schutz der Politik, um den Umbau auf klimafreundliche Technologien bewältigen zu können. Vom künstlichen Niedrighalten seiner Währung bis zu staatlich geförderten Dumpingpreisen: China zieht alle Register, um seine wirtschaftliche Vormacht zu stärken. Trumps USA setzen wirtschaftlichen Protektionismus ein, wo immer sie können. Das ist das Umfeld, in dem Europa seine Klimawende voran treiben muss, und das wird nur gehen, indem man Vorrang für „Made in Europe“ gibt, sich eingesteht, dass Rohstoffe für die grüne Industrie aus Europas Böden geholt werden müssen und dass das Geld und kurzfristig Umweltziele kosten wird. Das ist der wenn auch unschöne Startpunkt für eine offene Debatte: mit mehr Ehrlichkeit und weniger Kürzeln.

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